Faire Entlastung und Lastenverteilung

Sozialverbände, Umweltorganisationen und Gewerkschaften rufen zum »solidarischen Herbst« auf

Aktivistinnen posieren anlässlich der Pressekonferenz des Bündnisses zum »solidarischen Herbst«.
Aktivistinnen posieren anlässlich der Pressekonferenz des Bündnisses zum »solidarischen Herbst«.

Dieses Bündnis sei keinesfalls selbstverständlich, sagte Katrin Beushausen, Kampagnenleiterin von Campact, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Damit meint sie einen Zusammenschluss von Sozialverbänden, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Bewegungsakteuren. Dazu gehören Campact und Attac, der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) und Greenpeace, der Paritätische Gesamtverband, die Volkssolidarität, die Bürgerbewegung Finanzwende sowie die Gewerkschaften Verdi und GEW. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Unterstützer wie etwa der Deutsche Mieterbund und Fridays For Future.

Gemeinsam rufen sie zu Demonstrationen am kommenden Samstag in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover und Stuttgart auf. Unter dem Motto »solidarischer Herbst« fordern sie wegen der hohen Energiepreise unter anderem zielgerichtete Entlastungen für diejenigen, »die Unterstützung dringend brauchen«. Zugleich solidarisiert sich das Bündnis in dem russischen Angriffskrieg mit der Ukraine.

»In der Vergangenheit haben wir zum Teil durchaus unterschiedliche Ziele verfolgt. Waren nicht immer eins oder haben zumindest unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt«, stellte Beushausen fest. »Wir haben uns entschieden, dass wir in dieser Situation zusammenstehen wollen.« Es brauche bei den aktuellen Preissteigerungen Entlastung, zeitgleich müsse in eine nachhaltige Zukunft investiert werden, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu beenden.

Die Preissteigerungen betragen aktuell im Schnitt zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders hoch ist die Infaltion jedoch mit 11,4 Prozent für einkommensschwache Familien. Auch Alleinlebende mit niedrigen Einkommen sind stärker als der Durchschnitt belastet. Das teilte am Dienstag das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung mit.

Die unterschiedliche Belastung liegt daran, dass die größten Preistreiber Haushaltsenergie und Lebensmittel bei Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen einen größeren Anteil ausmachen als bei wohlhabenden. »Deshalb ist es uns besonders wichtig, dass die geplante Gaspreisbremse sozial ausgewogen sein muss«, erläuterte Andrea Kocsis, stellvertretende Verdi-Vorsitzende, auf der Pressekonferenz des Bündnisses. Überproportional entlastet würden mit der Gaspreisbremse aber vor allem reiche Haushalte. Das dürfe so nicht umgesetzt werden. Zudem brauche es zusätzliche Entlastungen, da die einmalige Abschlagzahlung nicht ausreiche.

»Deutschland war bereits im letzten Jahr, auch ohne diese Preissteigerungen, mit einer Armut überzogen, die noch nie so hoch war«, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. »14 Millionen Menschen, die unter der statistischen Armutsgrenze liegen. Das war und ist ein trauriger Rekord, auf den nun die Krisen draufbrechen«, so Schneider. Das Bündnis fordert neben einem höheren Bürgergeld auch eine 500-Euro-Soforthilfe. Zudem einen Mietenstopp sowie eine »bezahlbare Nachfolge für das 9-Euro-Ticket«.

Neben dem Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur wie dem öffentlichen Nahverkehr will das Bündnis auch die Erweiterung von erneuerbaren Energien, dauerhafte Energieeinsparungen und Gebäudesanierung sowie das Forcieren einer umweltverträglicheren und nachhaltigeren Landwirtschaft. »Eine starke Klimapolitik heißt für uns, alle mitzudenken und Teilhabe zu ermöglichen«, sagte Antje von Brook, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des BUND. »Wir brauchen gestaltende Mehrheiten statt Blockaden. Deswegen haben wir uns entschieden, am Samstag gemeinsam auf die Straßen zu gehen.«

Finanziert werden sollen die Maßnahmen nach Auffassung des Bündnisses durch einen grundlegenden Wandel in der Finanz- und Haushaltspolitik. »Es ist ja nicht die erste Krise«, so Gerhard Schick, Vorstand von Finanzwende. »In der Finanzkrise haben wir erlebt, wie der Staat – wir alle –, in Milliardenumfang große Finanzvermögen gerettet hat«, stellte er fest. »Allein die Bankenrettung in Deutschland hat über siebzig Milliarden Euro gekostet«, erläuterte Schick weiter. »In der Coronakrise gab es Zufallsgewinne, und wieder wurden Finanzvermögen in Milliardenhöhe von der Solidarität der Steuerzahler geleistet.« Eine Vermögensabgabe, eine solidarische Finanzierung der Lasten, sei ausgeblieben. »Jetzt sind wir in der dritten Krise. Und deswegen bin ich sehr froh, dass es jetzt gelingt, ein Bündnis zusammenzubringen. Denn das hat in den vorherigen Krisen gefehlt«, sagte Schick.

Das Bündnis erwartet bei den Demonstrationen am Samstag über 20 000 Menschen. »Ob es in diesem Winter gelingt, unsere Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren und gleichzeitig die klimapolitischen Weichen zu stellen – das hängt entscheidend davon ab, wie viel Solidarität die Ampel einzufordern bereit ist«, fassen die Organisatoren in ihrem Aufruf zusammen.

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