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  • Fußball-WM 2022 in Katar

Bunte Fassade, bange Blicke

Wie Katar versucht, die Berichterstattung von der Fußball-WM zu zensieren

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Doha leuchtet, wie die WM-Gastgeber es sich wünschen. Das Dunkle dahinter soll nicht sichtbar werden.
Doha leuchtet, wie die WM-Gastgeber es sich wünschen. Das Dunkle dahinter soll nicht sichtbar werden.

Auf dem neuen Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Frankfurter Stadtteil Niederrad herrscht mittlerweile reger Betrieb. Während am Mittwoch dort die deutschen U19-Nationalspielerinnen mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln Freistöße übte, saß Hansi Flick mit seinem Team in der Trainerlounge zusammen. Der Männer-Bundestrainer dachte mit seiner Crew intensiv darüber nach, die Namen welcher 55 Spieler am Freitag dem Weltverband Fifa übermittelt werden, unter denen er dann letztlich den 26-köpfigen Kader für die Weltmeisterschaft in Katar auswählen wird.

Selbst Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff ist in die exakte Vorauswahl nicht involviert: »Es wird auch für mich überraschend, was herauskommt. 55 Spieler sind eine große Zahl.« Publik werden sollen die Namen nicht, weil es sich bei einigen ja bloß um Schattenmänner handelt. Bierhoff scherzte, dass es in düsteren Zeiten des deutschen Fußballs gar nicht möglich gewesen wäre, eine halbe Hundertschaft befähigter Profis zusammenzubekommen.

Noch viel schwieriger scheint es, Vorfreude auf die Wüsten-WM zu erzeugen – das spürt der Verband bei jeder Veranstaltung. Der Gastgeber will dieses Event für Imagebildung nutzen, verfolgt geopolitische Interessen – und dafür baut Doha mit willfähriger Unterstützung der Fifa eine kunterbunte Fassade. Wer in Katar jedoch hinter diese Kulisse blicken möchte, muss mit ernsten Konsequenzen rechnen. Das gilt auch für die Medien. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt das Emirat von 180 bewerteten Staaten Platz 119. Mehrfach wurden ausländische Journalisten festgesetzt – zuletzt gerade wieder Reporter aus Norwegen.

Mit Blick auf die WM gibt es viele rote Linien, die gerade für die Berichterstattung gezogen werden: Die Liste von Orten, an denen nicht gefilmt und fotografiert werden darf, wird immer länger. Zu den Auflagen gehört nach übereinstimmenden Angaben das Verbot, in Privaträumen von Einheimischen zu drehen oder in Unterkünften, in denen Gastarbeiter untergebracht sind. Einschränkungen gelten auch in Regierungsgebäuden, Kirchen, Universitäten, Krankenhäusern und bei Privatunternehmern. Diese Reglementierungen sind Teil einer Liste von Bedingungen, denen Filmemacher zustimmen müssen, um eine Drehgenehmigung zu bekommen. Sie sollen auch für Fotografen gelten.

ARD und ZDF haben angekündigt, sich nicht einschüchtern zu lassen. Am Montag teilte die ARD mit, sie werde »dennoch alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, wie geplant nicht nur sportlich, sondern auch kritisch und hintergründig von der Fußball-WM in Katar zu berichten«. Dafür sei sie auch »mit der Fifa über die Auflagen im direkten Gespräch«. Auch das ZDF setze sich nach eigener Darstellung für eine umfassende Berichterstattung aus dem WM-Ausrichterland außerhalb der Stadien ein, hieß es am Montag beim Zweiten. Der Sender sei »mit der Fifa im Gespräch, was die Auflagen für die Drehgenehmigungen betrifft«.

»Es ist das Turnier, das am stärksten diskutiert wird. Damit müssen wir uns beschäftigen«, sagt Bierhoff. Das DFB-Aushängeschild begibt sich auf der Arabischen Halbinsel in vermintes Gelände: Einerseits soll sich die Delegation vor den kritischen Themen nicht wegducken, andererseits würde es kaum verziehen, wenn es sportlich ein erneutes Desaster gäbe. »Wir brauchen eine Vorab-Begeisterung. Letztlich ist es eine Weltmeisterschaft, und wir wollen ein erfolgreiches Turnier spielen. Das ist nun einmal das Größte für einen Fußballer.« Was nicht passieren dürfe, so Bierhoff, dass man sage: »Das ist ein Shit-Turnier, und wenn wir verlieren und nach Hause fahren, juckt es keinen!«

Der 54-Jährige möchte unbedingt die schwachen Auftritte bei der WM 2018 und der EM 2021 vergessen machen. Ein Slogan der neuen Akademie lautet schließlich, den besten Fußball der Welt zu erzeugen. Nur bedingt hilft dabei der Blick zu den DFB-Frauen, die in England tolle EM-Erfolge verbuchten und eine nachhaltige Entwicklung einleiteten – weil die Protagonistinnen so viel Spaß, Leidenschaft und Hingabe vermittelten. Doch die deutschen Fußballerinnen genossen eine lange Vorbereitung und hegten echte Vorfreude auf den Gastgeber. So fleht der sportliche Leiter Joti Chatzialexiou nun auch für die Männer ein »positives Mindset« herbei, das ungeachtet aller Kritik an Katar aufgebaut werden müsse.

Bierhoff stimmt der These zu, dass sich eine befruchtende Atmosphäre von außen nicht überstülpen lässt. »Wir können nur die Bedingungen schaffen.« Ansonsten hat er »großes Vertrauen in Hansi«. Bundestrainer Flick muss mit seiner kommunikativen Art den Menschenfänger geben, der einen gemeinsamen Spirit wachsen lässt. Der Vorlauf ist kurz wie nie: Am 10. November gibt Flick seinen WM-Kader bekannt, am 14. November fliegt das Team zunächst für vier Tage und ein Testspiel in den Oman, danach erfolgt die offizielle Anreise nach Katar, und schon am 23. November geht es im ersten Gruppenspiel gegen die Japaner.

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