Reiseziel Taiwan

Bundestagsdelegation ignoriert die von der UN definierte Ein-China-Politik

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

Die erneute Reise einer Bundestagsdelegation nach Taiwan – als gäbe es nichts Dringenderes – soll die »Selbständigkeit« der Inselrepublik fördern. Delegationsleiter Peter Heidt (FDP) ließ sogar verlautbaren, mit dem Besuch solle »Taiwan als Staat« unterstützt werden. Schon unmittelbar vor Reiseantritt hatte Heidt das doppelte Spiel der Visite offenbart. Es geht nicht nur darum, »dass wir eng zusammenarbeiten wollen«, wie Heidt es auszudrücken pflegte; man sei zudem bestrebt, für die »Selbständigkeit Taiwans« einzutreten. Die Insel sei ein vollgültiger Staat.

Bei diesen unbedarften Äußerungen handelt es sich nicht nur aus Sicht Pekings um eine Provokation. Sie sind auch ein Verstoß gegen das weltweit akzeptierte »Ein-China-Prinzip«, das schon vor Jahrzehnten von der UN-Generalversammlung bestätigt wurde. Dieses Prinzip, demzufolge es nur einen chinesischen Staat gibt, wird bisher sogar von den USA anerkannt. Die UN-Generalversammlung hat es etwa in der Resolution 2758 vom 25. Oktober 1971 bekräftigt: »Die Vollversammlung der Vereinten Nationen […] beschließt, all die Rechte der Volksrepublik China instandzusetzen und die Vertreter ihrer Regierung als die einzigen legitimierten Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen anzuerkennen und von nun ab die Vertreter Chiang Kai-sheks von dem Platz zu entfernen, den sie zu Unrecht in den Vereinten Nationen und all ihren Organisationen einnehmen.«

Der Besuch der Bundestagsdelegation, der neben dem FDP-Abgeordneten Heidt sechs weitere Mitglieder des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe angehören, ist bereits der zweite einer deutschen Parlamentarierdelegation in diesem Monat. Erst Anfang Oktober war eine Delegation auf der Insel eingetroffen, zu ihr gehörte auch die Linke-Abgeordnete Caren Lay. Mit den sich häufenden Angriffen auf das »Ein-China-Prinzip« durch Besuche und Statements dieser Art wird darüber hinaus auch der Wille der taiwanischen Bevölkerung missachtet, die nach Umfragen zu mehr als 85 Prozent jede Änderung an dem äußerst fragilen und sensiblen Status quo der Insel ablehnt.

Diese als Dienstreisen getarnten Provokationen dienen aber den Vorgaben der USA, die seit geraumer Zeit den Status quo Taiwans aufzuwerten versuchen. Dies geschieht im Rahmen der von Präsident Joe Biden ausgerufenen Strategie vom »entscheidenden Jahrzehnt« des großen Machtkampfs mit China, in dem sämtliche Kräfte und Mittel mobilisiert werden müssen, um den weiteren Aufstieg der Volksrepublik zu verhindern. In Ermangelung eigener geopolitischer Zielsetzungen folgt man im politischen Berlin wie gewöhnlich den Vorgaben Washingtons, auch wenn sich dieses als gegen die eigenen Interessen gerichtet herausstellt.

Ist sich die Delegation des Menschenrechtsausschusses des Bundestags der geopolitischen Risiken also bewusst? Oder bewegt man sich in einem neokolonialen Fahrwasser, auf dem Niveau der »Hunnenrede« von Kaiser Wilhelm II, die im deutschen historischen Bewusstsein, falls so etwas überhaupt noch existiert, keine große Rolle spielt, im chinesischen aber umso präsenter ist? Delegationsleiter Heidt macht auch hier aus seinem Herzen keine Mördergrube und bekennt freimütig, dass man sich gänzlich im Klaren darüber sei, »dass wir mit einer unfreundlichen Reaktion Chinas rechnen müssen«. Das nehme man aber in Kauf.

Interessant: Während internationale Experten das Kriegspotential um Taiwan hoch einschätzen, gießt die Delegation aus Berlin also noch Öl ins Feuer. In der Zwischenzeit wird im Umfeld des Auswärtigen Amts darüber spekuliert, dass sich Berlin, entgegen anderslautenden Bekundungen, sukzessive vom Ein-China-Prinzip abzuwenden beginnt. Vor einigen Wochen hatte Außenministerin Annalena Baerbock erklärt, sie akzeptiere es nicht, wenn »ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seine kleineren Nachbarn überfällt«.

Worauf sich Baerbock hier bezog, ist schleierhaft. Die Formulierung war aber wohl auf eine eventuelle chinesische Invasion in Taiwan gemünzt, nicht etwa auf die zahlreichen Invasionen der USA in den vergangenen Jahrzehnten. Die Volksrepublik China hat gesetzlich festgelegt, dass sie an einer friedlichen Wiedervereinigung mit Taiwan interessiert ist. Sollte diese Wiedervereinigung auf friedlichem Wege endgültig unmöglich gemacht werden – zum Beispiel durch eine formelle Abspaltungserklärung Taiwans oder durch die Einflussnahme äußerer Mächte, die Taiwan als Staat anerkennen –, behält sich die Staats-und Parteiführung in Peking prinzipiell den Einsatz aller Mittel vor.

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