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Leidenschaftliche Leipziger bezwingen Real Madrid

Die Fußballer von RB haben nach dem Sieg das Weiterkommen der Champions League selbst in der Hand

  • Ullrich Kroemer, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein eruptiver Moment in Leipzig: Timo Werner (r.) trifft zum vorentscheidenden 3:1 gegen Real Madrids Torwart Thibaut Courtois.
Ein eruptiver Moment in Leipzig: Timo Werner (r.) trifft zum vorentscheidenden 3:1 gegen Real Madrids Torwart Thibaut Courtois.

Es gibt in der kurzen Geschichte von RasenBallsport Leipzig nur eine Handvoll Tore, die sich in das kollektive Gedächtnis der Fans eingebrannt haben. Der Treffer zum ersten Bundesliga-Sieg etwa – am 10. September 2016 gegen Borussia Dortmund von Naby Keita. Auch das mit letzter Kraft erzielte 1:0 von Yussuf Poulsen im April 2017 gegen Leverkusen in der Nachspielzeit ließ das Stadion beben – RB hatte damit gleich in der Premierensaison einen europäischen Startplatz sicher.

Am Dienstagabend gegen Real Madrid war wieder einmal ein solcher Moment, von dem sich die Leipziger noch Jahre erzählen werden. Die »Königlichen« hatten durch Vinicius Junior gerade die beste Chance der zweiten Hälfte, als der Ball nur Zentimeter am Pfosten des Leipziger Gehäuses vorbeistrich. Das 2:2 für Madrid lag in der Luft – da setzte Abwehrhüne Mohamed Simakan aus der eigenen Hälfte heraus zu einem Sprint über 40 Meter an, ließ dabei Defensivstar David Alaba stehen und passte präzise quer durch den gesamten Strafraum zu Timo Werner. Der Stürmer schob in der 81. Minute zum 3:1 ein. Ein eruptiver Moment, in dem den mehr als 45 000 Zuschauern auf den Rängen bewusst wurde, dass sich RB nach diesem Spiel tatsächlich Champions-League-Sieger-Besieger nennen kann. Daran änderte auch Rodrygos Anschlusstreffer per Elfmeter zum 3:2 (2:1)-Endstand nichts mehr.

Zwar war Real bereits vor der Partie für das Achtelfinale qualifiziert, doch der aktuelle Titelträger investierte nach schläfrigen 20 Anfangsminuten viel und riskierte einiges, um diese Partie nicht zu verlieren. Doch die Leipziger scheinen dem Status des Lehrlings auf internationaler Bühne entwachsen. An den großen Abenden unter Flutlicht können in der Messestadt auch die größten Klubs der Welt straucheln. Paris St. Germain hat dort schon verloren, Manchester City und Manchester United ebenso. Nun haben auch Toni Kroos & Co. in der Champions League Bekanntschaft mit der Leipziger Leidenschaft gemacht.

»Wir haben Real Madrid geschlagen, wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht?«, schwärmte Routinier Emil Forsberg, der im Winter 2015 nach Leipzig gekommen war, als der polarisierende Red-Bull-Klub gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen war. »Dieser Sieg zeigt unsere Qualität und unser Potenzial, aber wir wissen auch, dass es über 95 Minuten Leidenschaft und Füreinander-Da-Sein braucht. Wenn wir das schaffen, ist vieles möglich«, sagte der Schwede.

Dass die Leipziger wieder füreinander da sind, hat der Leipziger Marco Rose bewirkt. Noch im ersten Saisonspiel in der Champions League, der letzten Partie unter dem ehemaligen Trainer Domenico Tedesco, hatten die Spieler nach dem 1:4 gegen Schachtjor Donezk völlig ratlos in den Stadionkatakomben gestanden. »Irgendetwas fehlt, irgendwas stimmt nicht«, hatte Dominik Szoboszlai gerätselt. »Wir brauchen jetzt Spieler, die alles geben für die Mannschaft, die füreinander sterben können auf dem Platz.« Das war martialisch ausgedrückt und nur sinnbildlich gemeint. Doch es traf den Kern dessen, was den RasenBallsportlern nach dem DFB-Pokalsieg abging.

Der neue Trainer hat vieles wieder geweckt – in der Ansprache zur Mannschaft, in der Öffentlichkeit und hinsichtlich des Spielstils. Der 46-Jährige hat RB zurück zu fußballerischer Wucht, Geschlossenheit und den Grundtugenden des Pressingspiels geführt, was auch wieder Gegner wie Real überrumpeln kann. Schon im Hinspiel im Estadio Bernabéu waren die Leipziger lange das bessere Team gewesen, hatten aber letztlich in der Schlussphase 0:2 verloren, weil die letzte Überzeugung gefehlt hatte. Im Rückspiel nun gab es in den ersten 20 Minuten kein Fünkchen Zweifel daran, dass die Spieler den Ball über die Linie drücken werden – sei es nach zwei Standards wie bei den frühen Treffern von Josko Gvardiol in der 13. Minute und Christopher Nkunku fünf Minuten später.

Doch Rose mahnte in der Stunde des Triumphs an, wie fragil die neuen alten Tugenden noch seien. »Mich freut, wenn wir füreinander da sind. Die Tendenz gefällt mir«, bremste der frühere Verteidiger des VfB Leipzig. »Trotzdem ist das ein schmaler Grat, ein Pflänzchen, das du stetig gießen musst, weil du ständig aus der Bahn geworfen werden kannst. Aber im Moment sind wir im Mit- und Füreinander auf einem guten Weg.«

Ein gutes Beispiel dafür ist Simakan, der als Innenverteidiger aufgrund einer Fehlplanung im Kader nun plötzlich rechts in der Vierer-Abwehrkette antreten muss. »Ich weiß, dass er es nicht mag, Rechtsverteidiger zu spielen, aber er tut es mit 100-prozentiger Überzeugung für die Mannschaft«, sagte der Fußballlehrer beinahe entschuldigend. »Das ist ein außergewöhnlicher Charakterzug von ihm, den ich sehr schätze.«

Nun fehlt noch ein letzter Punkt, um am kommenden Mittwoch nach dem »Entscheidungsspiel« in der Gruppe F in Warschau gegen Donezk zum dritten Mal das Achtelfinale der »Königsklasse« zu erreichen. Eine Partie mit grundsätzlich anderen Vorzeichen, denn auswärts gegen aggressiv anlaufende Mannschaften wie jüngst Augsburg oder Mainz – wenn es wehtut – zu spielen, fällt RB auch unter Rose noch schwer.

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