Der Kompass der Lachse

Der Physiker Uwe Hartmann über den magnetischen Orientierungssinn der wandernden Fische

  • Dirk Eidemüller
  • Lesedauer: 3 Min.
Lachse finden aus dem Ozean zielsicher zurück an die Laichplätze in den Flüssen, wo sie selbst aus den Eiern geschlüpft sind.
Lachse finden aus dem Ozean zielsicher zurück an die Laichplätze in den Flüssen, wo sie selbst aus den Eiern geschlüpft sind.

Wie ist es möglich, dass Tiere sich am Magnetfeld der Erde orientieren können?

Magnetsinn im Tierreich

Zugvögel fliegen zum Teil über mehrere Tausend Kilometer zwischen ihren Überwinterungsquartieren und den Brutplätzen. Das ließ schon Darwin vermuten, sie besäßen eine Art von Kompass. Der Frankfurter Ornitologe Wolfgang Wiltschko konnte 1963 bei Rotkehlchen erstmals zeigen, dass sie sich am Magnetfeld orientieren. Inzwischen wurde ein solcher Magnetsinn bei über 20 Zugvogelarten nachgewiesen. Doch auch bei verschiedenen Insektenarten, Schildkröten und selbst Säugetieren ist diese Fähigkeit zur Orientierung inzwischen nachgewiesen worden.
Und wie in der Seefahrt genügt ein bloßer Kompass nicht. Die Tiere besitzen offenbar auch eine Art innere Karte, die lokale Abweichungen des Magnetfelds verzeichnet. Auch der Stand der Sonne sowie bei nachts fliegenden Vögeln einzelne Sterne dienen den tierischen Routenplanern als Orientierungshilfe. Bei einigen Tierarten – etwa Heringsmöwen – nimmt man zudem an, dass sie ihren Kurs nach Geruchsinformationen korrigieren.
Jene Moleküle, die bei Tieren mit Magnetorezeption vermutlich die Wahrnehmung ermöglichen, fand man auch im Auge von Menschen und Hunden. Ob sie dort allerdings ebenfalls für Orientierung im Erdmagnetfeld sorgen, ist eher unwahrscheinlich. sts

Es wurde schon lange gemutmaßt, dass magnetische Partikel in Zellen hierfür verantwortlich sind. Vor allem Magnetit gilt schon seit Jahrzehnten als interessanter Kandidat für den Magnetsinn. Nanokristalle aus Magnetit finden sich in unterschiedlichsten Lebensformen, von einfachen Bakterien über Insekten und Fische bis hin zu Säugetieren. Wie genau dieses Mineral innerhalb von Sinneszellen schließlich zu einem Nervenimpuls führt, der dem Tier sagt: »Hier ist Norden«, ist allerdings noch nicht geklärt. Dazu wird intensiv geforscht. Wir haben mit unserer jüngsten Veröffentlichung aber zeigen können, dass in der Tat Magnetit die entscheidende Rolle spielt.

Wie haben Sie das herausgefunden?

Wir haben mit einem sehr interdisziplinären Team gearbeitet, dem ebenso Forscher aus der Sinnesphysiologie, der Genetik und der Evolutionsbiologie angehören wie Geo- und Nanophysiker. Schon seit Längerem erforschen wir den Magnetsinn von Lachsen, der im Riechorgan dieser Tiere lokalisiert ist. Es ist uns gelungen, zunächst diejenigen Zellen im Gewebe mit besonders hohem Anteil an Magnetit von den anderen zu separieren. Die Magnetitkristalle in diesen Zellen konnten wir dann gezielt mit hochempfindlichen physikalischen Verfahren analysieren, unter anderem mithilfe von ferromagnetischer Resonanz, Atomkraft- und Magnetokraftmikroskopie.

Um was für Partikel handelt es sich bei diesen Magnetitkristallen?

Das Magnetit liegt in Form von Nanokristallen vor, die bei Lachsen rund 30 Nanometer groß sind. Bei anderen Tierarten können sie auch etwas kleiner sein, bei manchen Bakterien etwa rund zehn Nanometer. Interessanterweise liegen diese Kristalle bei Lachsen in anderer Form vor als etwa bei magnetotaktischen Bakterien. Bei Letzteren sind sie entlang einer Kette angeordnet und ermöglichen es den Bakterien dadurch, sich etwa in trübem Wasser zu orientieren und Schutz im Schlamm zu suchen, wenn sie aufgewirbelt werden. Bei Lachsen sind die Magnetit-Nanokristalle aber in Weintrauben-förmigen Clustern angeordnet. Warum das so ist, wissen wir noch nicht. Es handelt sich auch nicht um gewöhnliches Magnetit, zu dessen Erzeugung hohe Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius notwendig sind. Stattdessen sind diese Partikel mit Proteinen durchsetzt. Diese Kristalle entstehen also durch einen besonderen Typ von Biomineralisation, der bei Umgebungstemperatur abläuft.

Gibt es eine genetische Beziehung zwischen den verschiedenen Spezies, die Magnetorezeption aufweisen?

Hier hat die genetische Analyse ganz überraschende evolutionäre Zusammenhänge aufdecken können. Denn alle Lebewesen, die solche Magnetit-Nanokristalle nutzen – von Archaeen und Bakterien bis hin zu Säugetieren –, besitzen dieselben Gene. Nun zählen Archaeen und Bakterien zu den Prokaryoten, haben also keinen Zellkern. Alle höheren Lebewesen sind allerdings Eukaryoten und haben einen Zellkern. Vermutlich haben frühe Eukaryoten magnetisch empfindliche Prokaryoten oder zumindest deren Gene im Laufe der Evolution in sich aufgenommen. Die Magnetorezeption von Lachsen und anderen höheren Tieren hat sich also nicht von selbst genetisch unabhängig entwickelt, sondern die Gene zur Erzeugung von Magnetit-Nanokristallen sind irgendwann vor mehr als einer Milliarde Jahren in Prokaryoten entstanden und wurden dann von Eukaryoten aufgenommen.

Welche Hypothesen gibt es zum erstaunlichen Orientierungsvermögen von Tieren wie Lachsen?

Wie das Ganze sinnesphysiologisch im Innern von Zellen funktioniert, ist noch nicht ganz klar. Denn die Kräfte, die die Magnetit-Nanocluster im Erdmagnetfeld erfahren, sind winzig klein und nur schwer von thermischem Rauschen zu unterscheiden. Eine spannende These ist, dass die magnetischen Nanokristalle Ionenkanäle in der Zellmembran aktivieren können und dadurch Nervensignale zustande kommen. Man muss dazu aber auch sagen, dass es nicht einfach nur der Magnetsinn ist, der komplexen Tierarten die Orientierung über Tausende von Kilometern erlaubt, sodass etwa Lachse sicher zu ihren Laichgründen am Oberlauf eines Flusses finden. Hier kommt sicher auch eine besondere Gedächtnisfähigkeit ins Spiel, die ebenfalls noch erforscht werden will.

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