»Deutschland war ganz weit hinterher«

Wie kam der Metal Anfang der 70er in die BRD? Ein Gespräch unter Pionieren

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 9 Min.

Peter Hesslein (Gitarrist bei Lucifer’s Friend): Wir wollten natürlich zuerst gern live spielen, aber das war schwierig, es gab für uns gar keine Jobs. Wir waren ja mit die Ersten in Deutschland, die diese Stilrichtung eingeschlagen hatten. Im Radio und im Fernsehen liefen noch ganz andere Sachen. In England gab es Led Zeppelin, Black Sabbath usw., da hatten sich die Hörer schon angefreundet mit dieser Art Musik, aber in Deutschland war das noch nicht so. Das haben wir gemerkt, wenn wir gespielt haben. Die mochten das irgendwie nicht. Es war nicht so wie heute, dass eine Band auf die Bühne geht und es gibt eine große PA-Anlage. Das war in Deutschland noch nicht so. Wir sind da raufgegangen mit unseren Verstärkern in der Hand, und das war’s, nur die Gesangsmikrofone wurden zusätzlich verstärkt, das war alles noch wie zur Beatles-Zeit. Und die Leute konnten mit uns nichts anfangen, diese lauten Gitarren! Das fing erst 1972, 1973 an, dass solche Bands sich hier durchsetzen konnten.

Fargopeter Knorn (Bassist bei Fargo): Die Auftritte waren ein Problem. Wenn du heute als Band in einen Club gehst, steht eine PA da und auch Licht. Das gab es in keinem einzigen Club damals. Das mussten die Bands, ob das Black Sabbath waren oder sonst wer, alles selbst mitbringen. Und weißt du, was damals allein ein Mischpult gekostet hat? Ein Vermögen. Und dann die Boxen, Bassbox, Mitteltöner, Hochtöner, Endstufen, dann brauchst du eine Lichtanlage. Und dann noch einen Lkw, um das Zeug zu transportieren. Wenn du nicht gerade einen Bankdirektor zum Vater hattest, konntest du dir das gar nicht leisten.

»Heavy Kraut«

Wie alles anfing: In frühen 70ern kam Heavy Metal in die BRD, was das Publikum zunächst irritierte. Über die abenteuerliche Zeit, in der sich das Genre langsam durchsetzte, hat Frank Schäfer nun ein Buch gemacht: »Heavy Kraut«. Er hat dafür mit den verschiedenen Musikern gesprochen. Es ist eine Oral History über handgemachte Rockmusik geworden. Wir drucken einen Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Stefan Josefus (Schlagzeuger bei FranzK.): Die Technik hat sich bald ziemlich verbessert. Wir haben anfangs mit zwei Dynacord-Gigant-Verstärkern gearbeitet. Dann haben wir uns irgendwann mal ein Mischpult gekauft. Ich werde das nicht vergessen, da haben wir ein Konzert in Brunsbüttel gehabt, machen Soundcheck und haben plötzlich den NDR empfangen, weil das Mischpult so schlecht abgeschirmt war. Da waren so billige Bauteile drin, dass da der NDR reingestrahlt hat.

Peter Föller (Bassist und Sänger bei Birth Control): Wir hatten einen Mercedes-Bus, so einen Siebeneinhalbtonner, mit dem sind wir unterwegs gewesen. Als wir zum Beispiel 1975 in Spanien waren, hatten wir einen VW-T2-Bus, und die Roadies sind mit dem Lkw gefahren. Aber das gehörte alles uns. Das war bei allen so, egal, wie die hießen, ob es Nektar war oder Epitaph. Auch die Engländer. Ich kann mich erinnern, eins der ersten Konzerte war mit Manfred Mann’s Earth Band zusammen in Hamm, die kamen auch mit einer eigenen PA. Da war gerade ihr Album »Solar Fire« rausgekommen. Die kannte ich gar nicht, die hab ich da zum ersten Mal gehört. Und ich war sehr fasziniert, weil die PA sehr klein war mit einem Stack pro Seite, das war ein wunderbarer Sound. Wir wollten auch so eine PA und haben die dann auch gekauft. Teile sind später an Manfred Mann’s Earth Band gegangen, weil die ja das gleiche System hatten.

Josefus: Als wir 1976 die Tour mit Status Quo mitgemacht haben und beim ersten Konzert in Ravensburg zum Soundcheck gekommen sind, da habe ich zu meinem Bruder gesagt: Peter, so was brauchen wir auch! Alleine die Monitoranlage, die hatten keine kleinen Würfel, sondern Sidefills. Später hatten wir die auch, 2000 Watt allein für die Monitoranlage, einen Mischer auf der Bühne nur dafür. Und weil das unser Zeug war und die Roadiemannschaft eingespielt, konnten die das bedienen, das haben wir vorher natürlich geprobt. Dass man nichts gehört hat, das gab es bei uns nicht. Egal, wo wir aufgetreten sind, der Sound stimmte immer. Das hat unheimlich Spaß gemacht. Das überträgt sich auch auf die Leute, wenn der Sound stimmt.

Hesslein: Jedenfalls gab es für uns keine Möglichkeit, eine Tour zu machen. Wir hatten immer nur Einzelgigs in irgendwelchen Locations, und da waren die Leute dann tierisch enttäuscht. Was ist denn das für Musik? Da hatten wir unsere Schwierigkeiten. Das war der Grund, weshalb wir aufgehört haben, live zu spielen. Wir hatten selbst wenig Kontakte und auch noch keinen Manager, das war alles noch nicht so üblich. Aber viele Jahre später kamen Leute von einer Plattenfirma aus den USA, die wollten den Krautrock aufkaufen. Die kamen auf uns zu und haben das erste Album in Amerika wiederaufgelegt. Das war ein Erfolg. Und danach kamen dann Anfragen für eine Tour durch Amerika, aber das waren meistens so windige Geschichten von Typen, die selber das große Geld machen wollten, aber für die Band wäre da nichts übrig geblieben. John hat dann immer gesagt: Wir müssen Geld verdienen, das geht so nicht. Deshalb haben wir das Livespielen schließlich aufgegeben. Wir hatten ja unsere anderen Einnahmequellen. John Lawton war bei Les Humphries und dann bei Uriah Heep beschäftigt, ich bei James Last, Dieter Horns war ein gefragter Studiobassist. Wir hatten schon alle sehr gut zu tun, aber wir haben uns trotzdem immer wieder getroffen und neue Alben gemacht.

Ulli Meißner (Gitarrist bei Bastard): Professionelle Agenturen, die einem Gigs beschaffen konnten, gab es seinerzeit nicht, das wäre illegale Arbeitsvermittlung gewesen. Da gab es zwar Grauzonen, aber legal war damals nur das örtlich zuständige Arbeitsamt mit seiner Abteilung »Künstlerdienst«. Über diesen Weg habe ich in 50 Jahren noch nicht einen einzigen Gig bekommen.

Christian von Grumbkow (Gitarrist bei Hölderlin): Die meisten Typen, die so eine Konzertveranstaltung machten, standen mit einem Bein im Gefängnis, weil sie das eigentlich gar nicht durften. Da musste dann entweder ein vernünftiger Manager her, der auch die Legitimation dafür hat, oder man geht zur Arbeitsvermittlung. Nur: Da passiert nichts, wir haben es ja probiert.

Uli Jon Roth (Gitarrist der Scorpions): Wir hatten einen Manager. Die Scorpions hatten da schon eine Sonderstellung. Wir spielten viel mehr als andere Bands. Es gab nur ein paar andere Bands, Birth Control etwa, die ähnlich viel spielten wie wir. In ganz Deutschland, ab Ende 1974 auch im Ausland, erst in Holland, dann Luxemburg, Belgien, Frankreich, England. Dann weitete sich das aus. Das lag daran, dass die Scorpions sich von allen anderen Bands abgehoben haben.

Meißner: Auch die Stadtteilfeste waren noch relativ neu damals, in Hannover hatte das in den frühen 70er Jahren schon angefangen, aber andere Städte kamen erst später darauf, und dort war das dann teilweise jämmerlich organisiert. Wir hatten einen Vertrag für zwei Tage auf dem Stadtfest in Essen, da haben wir uns super drauf gefreut, wir wollten uns da gern präsentieren, denn ohne Gigs verkaufst du keine Platten. Dann hatten die da aber alles an einer Stromleitung hängen, die Bühne mit dem Licht, die Pommes- und Bratwurstbuden, und sobald wir auch nur einen Verstärker auf der Bühne angemacht haben, ging sofort alles aus. Da hat sich die Stadt Essen aber keinen großen Kopf drum gemacht: Na ja gut, geht eben nicht, das kriegen wir bis morgen nicht hin, ihr kriegt eure Gage für beide Tage überwiesen, und tschüss. Das war natürlich frustrierend. Oder der Auftritt im Jugendzentrum Köln-Porz. Porz ist so eine Satellitenstadt, und da haben sie auch gleich ein nagelneues Jugendzentrum reingesetzt. Diese städtischen Jugendzentren hatten aber damals und haben auch noch heute die Eigenschaft, dass die Jugendlichen da eigentlich nicht hingehen. Wir kommen da also rein, es gab eine vierstellige Gage, es war schon alles komplett aufgebaut, Lichtanlage, Tonanlage, Backline, das stand da schon alles, komplett spielfertig, und dann kommt der Typ vom Jugendzentrum und meint: Bei uns kommen sowieso nicht mehr als 25 Leute, über den Abend verteilt, von daher ist es mir egal, was ihr macht. Das Geld kriegt ihr sowieso, ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr spielt oder wieder abbaut, das ist mir egal. Oder man ist zu einem Gig sonst wohin gefahren, und den Club gab es nicht mehr, weil der Veranstalter im Knast saß. Und drei Tage später spielst du auf der Freilichtbühne Kiel vor 5000 Leuten. Das sind Riesengegensätze, die du da erlebst. Das haben alle durchgemacht, durch die Mühle sind auch die Scorpions jahrelang gegangen.

Föller: Bei uns waren es meistens Tourneen. Und dann gab es auch, das ist heute unvorstellbar, Deutschrockfestivals in mittelgroßen Hallen, über ganz Deutschland verteilt. Das waren immer die gleichen Bands. Die haben aber zweimal am Tag gespielt. Im Wechsel. Da hast du als dritte Band, sagen wir mal, in Frankfurt gespielt und dann als vorletzte in Bad Mergentheim. An einem Tag. Da war natürlich eine PA vor Ort, da musstest du das nicht selbst machen. Es gab interessanterweise damals ganz viele Festivals. Ein ganz großes fand in der Festhalle in Frankfurt statt, das war auch schon 1973 und sogar von Lippmann + Rau veranstaltet. Da kamen 9000 bis 10 000 Leute. Es gab dann einen längeren Bericht über die Jugend von damals im Hessischen Fernsehen, wo allein 10 Minuten »Gamma Ray« gespielt wurde. Live! Wir haben als zweite oder dritte Band gespielt, und dann kam »Gamma Ray«, und die wollten uns nicht von der Bühne lassen, haben applaudiert, und es war richtig laut. Aber wir mussten aufhören, wir hatten eh schon überzogen. Danach hat die Firma Lippmann + Rau nie wieder was mit uns gemacht, denn beim Festival überziehen, das geht nicht. Und danach kam Klaus Doldinger, nur, den wollte keiner hören. Das war ganz schlimm, das hat mir richtig leidgetan. Wenn wir mit Jane oder Kathargo gespielt haben, war alles gut, aber das war zu krass.

Hesslein: Wir hatten ja nie diesen durchschlagenden Erfolg, dass es sich irgendwie rentiert hätte. Die anderen Bands waren viel professioneller, Deep Purple, Led Zeppelin, alle. In England war das Business, was Agenturen und Management betrifft, viel weiter. Das gab es hier nicht. Wir wussten nicht, an wen wir uns wenden sollten, der so etwas hätte organisieren können. Und die Leute von der Plattenfirma, das waren alles alte Herren, ganz nett, aber da hatten die doch gar keine Aktien drin. Es gab ein paar Agenturen, aber die haben im Höchstfall noch Les Humphries gemacht oder Schlager und sonst nur Klassik. Rockgruppen kamen bei denen nicht vor. Deutschland war wirklich ganz weit hinterher.

Auszug aus Frank Schäfer: Heavy Kraut. Wie der Metal nach Deutschland kam. Reiffer Verlag, 304 S., geb., 22 €.

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