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Mehrere Attacken auf US-Politiker
Politische Gewalt wird in den USA zu einer zunehmenden Bedrohung
Eigentlich war der Attentäter letzte Woche auf der Suche nach Nancy Pelosi, der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, als er in deren Privatwohnung eindrang und mit einem Hammer auf den Schädel des 82-jährigen Ehemanns der Politikerin einschlug. Er verübte damit den gravierendsten Gewaltakt gegen eine ranghohe politische Persönlichkeit in den USA – wenn auch stellvertretend –, seit der Republikaner Steven Scalise im Jahr 2017 bei einem Baseballspiel in Virginia angeschossen und schwer verletzt wurde.
In den USA gibt es inzwischen fast permanent Drohungen gegen Politiker*innen; im Jahr 2021 hatten die Polizist*innen im US-Kongress mit 9 625 solchen Fällen zu tun. Die progressive Demokratin Pramila Jayapal wurde bei sich zu Hause im Bundesstaat Washington von einem Mann mit einer halbautomatischen Handwaffe aufgesucht. Auch ein Richter des Obersten Gerichts, Brett Kavanaugh, wurde von einem Anhänger der Demokraten vor seinem Privathaus bedroht. Doch diese Attacken blieben verbal oder wurden verhindert.
Die New York Times schätzt aus den Analysen von Anklagen, dass rund ein Zehntel all dieser Drohungen allein Nancy Pelosi galten. Letztes Jahr wurde das Haus von Pelosi nach der Verabschiedung eines großen Konjunkturpakets vandalisiert, einschließlich der Platzierung eines Schweinskopfs vor ihrer Tür. Das Attentat gegen die Familie Pelosi hat eine besondere Signalwirkung, weil die Parlamentssprecherin zuvor online massiv bedroht wurde. Für Rechte ist Pelosi zur Hassfigur geworden. »Wo ist Nancy Pelosi?«, rief der Angreifer immer wieder, als er in die Wohnung eindrang. Der zeitweilige Hersteller von Hanfschmuck und FKK-Aktivist David DePape fragte damit dasselbe wie die Erstürmer des Kapitols vom 6. Januar 2021, deren wohl wichtigstes Ziel das Büro Pelosis war. »Wo ist Nancy Pelosi?«, ein Refrain, der alle ideologischen Unterschiede zwischen den Akteuren im rechten Spektrum überbrückt. Die Ironie ist, dass Pelosi wohl kurz vor der Pensionierung steht, besonders dann, wenn ihre Partei die Zwischenwahlen im Kongress verliert.
Die immer brutalere Rhetorik der politischen Debatte schlägt zunehmend in reale Gefahr für Gesetzgeber*innen um. Der republikanische Abgeordnete Kevin McCarthy, der nach den Wahlen auf Pelosi folgen könnte, scherzt gerne, dass er der Sprecherin bei der Übergabe mit ihrem eigenen Hammer auf den Kopf schlagen könnte.
Der Republikanische Senator Ben Sasse aus Nebraska erklärte nach dem Attentat: »Jeder einzelne Amerikaner muss jetzt die Temperatur abkühlen.« Der Internet-Konzern Meta erntfernte die Facebook-Seite des verhafteten Angreifers in Windeseile. Andere, wie der Snowden-Enthüller Glenn Greenwald, machen sich eher über Reaktionen Gedanken, die die Meinungsfreiheit bedrohen könnten: »Der rapide Anstieg der Online-Zensur kann nicht überbetont werden. […] Das Zensurregime, das entwickelt wird, eskaliert jetzt schnell und dehnt sich weit über […] geringe Strafen hinaus.«
Dass Pelosi bald den Stab als oberste Demokratin im Repräsentantenhaus abgeben wird, gilt als wahrscheinlich. Unklar ist, wer auf sie folgen wird. Pelosi steht eigentlich wie keine andere für das Establishment der Demokraten. Im präsidialen System ist ihre Rolle als Parlamentssprecherin gar der Rolle eines Premierministers ähnlich. Pelosi schwingt nicht nur symbolisch den Hammer des Sprechers, sondern war unter Bush, Obama und jetzt auch unter Biden die Bezwingerin der Widerspenstigen und Einflüsterin der Wankelmutigen. Damit steht sie einerseits für die Erfolge der Demokraten wie Obamas Gesundheitsreform und Bidens Corona-Hilfen, gleichzeitig aber auch für die Demokratische Partei Bill Clintons, die eher auf Wall Street als auf die Gewerkschaften hörte, eine Partei, die sich seither mit dem amerikanischen Kapitalismus arrangiert hat und sich mit bescheidenen Reformen zufrieden gibt. Gerade ihre Wendigkeit macht sie zur Reizfigur für die Opposition. Mit Pelosi geht die Ära der Clinton-Demokraten zu Ende – wenn die Clintons 2024 nicht selbst ins Weiße Haus zurückkehren.
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