Kein bisschen Frieden in Münster

Viele Worte und keine Lösung für die Ukraine beim G7-Außenministertreffen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Fast im Minutentakt meldet die russische Nachrichtenagentur Tass Angriffe ukrainischer Truppen auf vermeintlich russisches Gebiet. Oft verweist man auf den Einsatz westlicher Waffensysteme, mit denen Verwaltungszentren und Krankenhäuser attackiert würden. Das russische Außenministerium bestellte am Donnerstag die britische Botschafterin ein, weil Moskauer Offizielle meinen, der jüngste maritime Drohnenangriff auf seinen Marinestützpunkt in Sewastopol auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim hätte ebenso wie die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines vor einigen Wochen in der Ostsee ohne Hilfe aus London nicht stattgefunden.

Nach wie ist in russischen Medien zudem die Rede davon, dass in der Ukraine angeblich mit westlicher Hilfe eine »schmutzige Bombe» gebaut werde. Auch das von Russland okkupierte Atomkraftwerk in Saporischschja wird weiter beschossen. Deshalb habe man Reaktoren herunterfahren müssen, meldet Tass. Überall wimmle es zudem von Spionen und Saboteuren des »Rechten Sektors«. Russische Politiker warnen die USA und Großbritannien und behaupten, dort würden Mitglieder internationaler Terrororganisationen für den Kampf gegen Russland rekrutiert.

Selten hat Propaganda etwas mit der Realität zu tun, schon gar nicht in Kriegszeiten. Und so darf man nicht nur Moskaus, sondern auch Kiews Berichten misstrauen, laut denen die ukrainische Armee seit Kriegsbeginn am 24. Februar etwa 74 000 russische Soldaten »vernichtet« hat. Allein am Mittwoch sei die Zahl um 730 gestiegen, hieß es zuletzt. Zugleich teilt die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft mit, trotz der Erfolge bei deren Abwehr hätten russische Okkupanten bereits 430 Kinder getötet und 825 verletzt. Aktuell leide man zwar weiter unter dem Terror russischer Kamikaze-Drohnen, doch die Masse der aus Iran stammenden fliegenden Bomben werde abgefangen.

Weiter berichten die ukrainischen Medien über die vielen Solidaritätsbekundungen aus dem Ausland und die Zusagen materieller Unterstützung durch westliche Politiker, die fast im 24-Stunden-Rhythmus der Regierung in Kiew ihre Aufwartung machen. Während der Besuche gibt es wie zum Beleg dafür, wie wichtig weiterer Waffennachschub ist, Luftalarm. So einen erlebte gerade Spaniens Außenminister José Manuel Albares Bueno, und natürlich konnte er sich davon überzeugen, wie treffsicher die von seinem Land gelieferten Hawk-Abwehrraketen sind. Das Nato-Land wird nun 700 000 Schuss Munition sowie moderne Raketenwerfer liefern. Weitere Unterstützung ist geplant.

Dass das eine Kehrtwende in der spanischen Politik ist, nimmt man in Kiew wohlwollend zur Kenntnis. In Madrid dagegen wachsen die Spannungen in der vom Sozialisten Pedro Sánchez geführten Regierungskoalition. Das Linksbündnis Unidas Podemos sieht in den Waffenlieferungen einen Beitrag zur Eskalation. Die bringe mehr Leid und mehr Tote und sei kein Betrag, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stoppen. Unidas Podemos verlangt dagegen die »Verdoppelung der Anstrengungen zur Förderung von diplomatischen Bemühungen«.

So ehrenwert solche Forderungen sind, so sehr verhallen sie. Es gibt – egal in welchem Format – kein Echo in der Realpolitik. Wie auch: Es gibt aktuell keine Basis für Verhandlungen. Daran kann auch der Geist des Ortes nichts ändern, an dem die Tagung der G7-Außenminister stattfindet, die am Mittwoch in Münster begann. Sie habe diesen ganz bewusst gewählt, sagte die gastgebende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum Auftakt. Im historischen Rathaus von Münster wurde 1648 zwischen Spanien und den Niederlanden Frieden geschlossen. Das Abkommen war Teil des sogenannten Westfälischen Friedens, der das Ende des 30-jährigen Krieges markierte. Baerbock nannte diesen Vertrag »eine der Geburtsstunden des modernen Völkerrechts». »Dieses Erbe müssen wir bewahren», betonte sie gegenüber den „Westfälischen Nachrichten». Doch es ist so eine Sache mit der Symbolik: Der Friedensschluss gelang damals nur, weil Europa nach Jahrzehnten des Krieges vollständig ausgeblutet war.

Die Bundesrepublik hat bis Jahresende die G7-Präsidentschaft inne, muss folglich die Zusammenarbeit zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und Deutschland koordinieren sowie eigene Schwerpunkte setzen. Bei dem zweitägigen Treffen geht es schwerpunktmäßig um Konsequenzen aus dem russischen Angriffskrieg, aber auch um den Umgang mit China. Auf der Tagesordnung steht zudem die Frage, wie man den Kontakt mit der iranischen Regierung gestalten solle, die gerade schwerste Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Bevölkerung begeht.

Dass Baerbock nach Münster auch Vertreter afrikanischer Staaten eingeladen hat und zu Tagungsbeginn viel über die Situation auf dem Balkan sinnierte; dass sie die Cybersicherheit und bedrohte Freiheiten ansprach – all das zeigt, wie sehr die gesamte Welt in Aufruhr ist. Die Energiekrise vor allem in Europa sowie die Misserfolge beim Klimaschutz spielen im Hintergrund ebenfalls eine Rolle. Der Krieg in der Ukraine ist also nur eine regional fassbare »Baustelle«.

Nicht von ungefähr machte der am Donnerstag zugeschaltete ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba klar, wie wichtig weitere verlässliche und allseitige Hilfe für sein Land ist. Gerade jetzt, da ein in vieler Hinsicht harter Winter bevorsteht. Seit knapp einem Monat zerstört Russland gezielt die kritische Infrastruktur der Ukraine, rund 40 Prozent des Energieversorgungssystems sind zerstört oder beschädigt. Folglich haben Millionen Menschen keinen Strom, keine Wärme, kein Wasser, kein Gas.

Politiker des Westens sagen, Kremlchef Putin wolle mit den Angriffen auf die Infrastruktur noch mehr Menschen in die EU treiben, um dort die Lage zu destabilisieren. Nach Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge UNHCR wurden bereits rund 14 Millionen Ukrainer zur Flucht gezwungen. Das sei, so UNHCR-Chef Filippo Grandi jüngst vor dem Sicherheitsrat, die größte und schnellste Vertreibung, die man in den vergangenen Jahrzehnten erlebt habe. Auch Grandi forderte ein Ende des »sinnlosen Krieges«, warnte aber zugleich davor, dass durch das Leid in Europa andere Krisen vergessen werden könnten. Er erinnerte daran, dass derzeit weltweit 103 Millionen Menschen auf der Flucht sind.

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