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- Stadt- und Landesbibliothek Potsdam
Wenn es zu laut wird, leuchtet die rote Ampel
Stadt- und Landesbibliothek Potsdam feiert 100-jähriges Bestehen
»Sie erleben das jetzt nicht, aber tagsüber kommt hier immer mal mit Tatütata die Feuerwehr vorbei«, sagte Claudia Lux am Mittwoch in ihrem Festvortrag zum 100. Geburtstag der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (SLB). Und wie zur Bestätigung war es zwei Minuten nach dem Satz der langjährigen Generaldirektorin der Berliner Zentral- und Landesbibliothek tatsächlich so weit: Die Feuerwehr machte Lärm. So ist das hier am Standort im Herzen der Landeshauptstadt, im »klügsten Haus der Stadt«, wie Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD) die SLB nannte.
Obwohl es schon im 19. Jahrhundert in Potsdam Bestrebungen gab, der Volksbildung mittels Buchverleih Dienste zu erweisen, beginnt die Geschichte von Potsdams Bibliothekaren 1922 mit der Gründung einer Wissenschafts- und Verwaltungsbibliothek. Zum Jubiläumsreigen im laufenden Jahr zählt der 30. Jahrestag des Bestehens als eigentliche Stadt- und Landesbibliothek. Die Institution der »Buchpaten« wird 25 Jahre alt und der Freundeskreis der Bibliothek 20 Jahre.
Kein Wort fiel bei der Festveranstaltung zur Entwicklung dieser Einrichtung in der DDR-Zeit. Dabei war die von Schüle gelobte »Brandenburgica«, die Sammlung von Schriftgut zur Mark, auch damals erhalten und vervollständigt worden. Interessant ist diese Auslassung auch deshalb, weil das Gebäude der heutigen Bibliothek eines der wenigen Repräsentativgebäude aus DDR-Tagen ist, die in der Stadtmitte überlebt haben.
Die Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek, wie das Haus bis 1992 hieß, galt als modernstes Bibliotheksgebäude der DDR und gehörte baulich zu dem inzwischen größtenteils verschwundenen Wissenschafts- und Lehrkomplex im Potsdamer Zentrum. An dessen Stelle entstehen heute Gebäude mit historisierenden Barockfassaden. So ist das Haus der Bücher und Medien als beinahe einziger moderner »Fremdkörper« im Stadtzentrum übrig geblieben. Als der Architekt für die neue Potsdamer Gemäldegalerie im einstigen Terrassenrestaurant »Minsk« auf der Suche nach Bauunterlagen war, »ist er hier fündig geworden«, hob Ministerin Schüle hervor.
Nach 1990 wurde sowohl die Fassade der SLB erneuert als auch das Innere komplett umgestaltet. »Manche glauben heute noch, es gebe hier nur Bücher«, sagte Noosha Aubel (parteilos), die Potsdamer Beigeordnete für Bildung und Kultur. Längst aber habe sich die SLB zu einem »Lern- und Wohlfühlort« entwickelt, mit Leseecken, Sitzinseln und Arbeitsplätzen. Scanner und Drucker sind beliebt bei Studenten oder bei Freiberuflern. Ein Café gehört zum Angebot. Ferner gibt es Arbeitsgemeinschaften, Interessengruppen, literarische und wissenschaftliche Veranstaltungen und regelmäßig Experten-Workshops, etwa zum Thema Digitale Zukunft.
Diese hoch entwickelten Möglichkeiten der Informationserschließung und -verarbeitung stehen in einem merkwürdigen Missverhältnis zur Fähigkeit vieler junger Potsdamer, sich das aufbewahrte Erbe auch zu erschließen. Laut Aubel verfügen 40 Prozent der Grundschüler heute nicht über genügende Lese-Fähigkeiten. Und das bedeute ja nicht, dass die anderen alle gut lesen können. Mit Blick auf das Angebot der SLB sprach Bibliotheksexpertin Claudia Lux von »Ausweg und Chance« bei der Nutzung von Möglichkeiten, die das Elternhaus nicht immer biete. Und von einer roten Ampel im Kinderbereich, »die immer dann leuchtet, wenn es zu laut wird«.
Auf der Festveranstaltung wurde außerdem Frank Dirk Hoppe verabschiedet, der Stellvertreter von SLB-Direktorin Marion Mattekat. In seinen Dankesworten regte er an, in Zukunft vielleicht nicht jeden neusten Schnickschnack mitzumachen, nicht jeder Mode hinterherzurennen, sondern sich der soliden Dienstleistung gegenüber den Potsdamerinnen und Potsdamern verpflichtet zu fühlen.
An guten Tagen nutzen rund 1000 Menschen das Haus, berichtete die Beigeordnete Noosha Aubel. Sie sprach von einem »Ort ohne Konsumdruck«. Bedeutende Einbrüche bei den Besucherzahlen habe es in der Coronazeit gegeben, doch inzwischen sei der Zuspruch so hoch wie vor der Pandemie. Einer Sonntagsöffnung steht Aubel dabei offen gegenüber: Was Museen bieten, sollten vielleicht auch Bibliotheken können.
Vor dem Hintergrund der Energiekrise und der Funktion öffentlicher Räume hat sich unterdessen der Deutsche Bibliotheksverband dagegen ausgesprochen, die Temperatur in den Einrichtungen zwangsweise abzusenken. Denn angesichts explodierender Energiekosten kommt auch den Bibliotheken eine möglicherweise nicht unbedeutende Rolle zu: als eine Art Wärmestuben. Noosha Aubel trat dann auch dafür ein, im klügsten Haus der Stadt »die Aufenthaltsqualität zu verbessern«, eine Küche einzubauen, um einen verlässlichen Treffpunkt anzubieten.
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