Uferfrauen am Rand der Geschichte

Lesbisches und ostdeutsches Leben vor und nach der Wende wird nach wie vor selten repräsentiert

  • Nina Süßmilch
  • Lesedauer: 4 Min.
Vergessene Geschichten: In ihrem Dokumentarfilm "Uferfrauen" begleitet Barbara Wallbraun ostdeutsche, lesbische Frauen.
Vergessene Geschichten: In ihrem Dokumentarfilm "Uferfrauen" begleitet Barbara Wallbraun ostdeutsche, lesbische Frauen.

Der Eingang für das Zentrum für Demokratie Treptow Köpenick (ZfD) ist nicht so leicht auszumachen. Man muss um das Gebäude herumlaufen, energisch klopfen und klingeln, um Einlass zu bekommen. 2004 gegründet, richten sich die Projekte des ZfD gegen anti-demokratische Tendenzen und setzen Zeichen für eine offene und tolerante Gesellschaft. »Wir wollen empowern«, sagt Katja, Mitglied des Zentrums. Aus diesem Grund hat das ZfD Barbara Wallbraun, Medienpädagogin und Filmemacherin aus Leipzig, mit ihrem Workshop »Lesbische Perspektiven aus Ost-Berlin vor und nach 1989« eingeladen. Für ihren Dokumentarfilm »Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR« hat Wallbraun verschiedene Preise gewonnen.

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Am Samstagmittag versammelt sich eine Handvoll interessierter Menschen, um zuzuhören und zu diskutieren. Lesbisches Leben und Lieben in der DDR muss auch heute noch als Nischenthema bezeichnet werden. Die »Herstory« im Gegensatz zur »History«, noch dazu im Zeitraum der Wende, ist eine Geschichte, die sich weiterhin Gehör verschaffen muss. Für eine breitere Reichweite findet der Workshop deshalb auf Englisch statt.

Was also haben sie gemacht, die lesbischen Frauen zu Ostzeiten? Wo haben sie sich getroffen, wie haben sie ihre Community gebildet? Wie wurde Homosexualität hinter dem Eisernen Vorhang gelebt? Es gab kaum öffentliche Orte für Homosexuelle in der DDR, findet Barbara Wallbraun in ihrer jahrelangen Recherche zu den »Uferfrauen« heraus. Zwar gab es theoretisch mehr Rechte für Homosexuelle in der DDR als in der Bundesrepublik, aber praktisch wurde Homosexualität auch im Osten kriminalisiert. Dazu kam die mangelnde Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft. Henny Engels vom LSVD zitierte dazu einmal ein schwules Paar aus der DDR, das sagte: »Die Gesetze waren gnädig, die Gesellschaft war es nicht.« Ohne diese Akzeptanz musste man im Verborgenen lieben. Es gab kaum Literatur, die Vorbilder, an denen man sich hätte orientieren können, waren rar. Das führte nicht nur dazu, dass homosexuelle Menschen sich sehr selten outeten, sondern sie hatten auch weniger Möglichkeiten, sich auszuprobieren und wirklich kennenzulernen. Wer bin ich und woher kommt mein Begehren? In einem Staat, der auf paternalistischen und, entgegen aller Beteuerungen, auch auf patriarchalen Strukturen basierte, sollte es keinen Freiraum für andere Lebensentwürfe als das Modell »Mutter-Vater-Kind(er)« geben.

Wie heute war auch damals (Ost-)Berlin nicht gleichzusetzen mit der DDR. Will man überhaupt von so etwas wie einer homosexuellen Szene reden, konnte man sie am ehesten in Prenzlauer Berg finden. Ab den 80ern wurde dort (natürlich infiltriert von IMs, den Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi) im Café Schönhauser und der Schoppenstube die Szene zumindest geduldet. Dazu gab es den sehr informellen Sonntags-Club, der Anfang der 70er Jahre von Christiane Seefeld gegründet wurde und bis heute noch in der Greifenhagener Straße als Café und Beratungsstelle zu finden ist. Doch zuerst trafen sich schwule Männer und später auch lesbische Frauen im privaten Wohnzimmer – die HIB (die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin) entstand.

Auch die besondere Rolle der evangelischen Kirche, die Ende der 80er Jahre für die Montagsdemonstrationen Dreh- und Angelpunkt werden sollte, findet Erwähnung im Workshop von Barbara Wallbraun. So gab es unter dem Dach der Kirche den »Arbeitskreis Homosexualität«, später »Frauen für den Frieden« und »Homosexuelle Selbsthilfe Lesben in der Kirche«. Und damit hatten sich die sehr vereinzelten Möglichkeiten, unter Gleichgesinnten zu sein, schon erschöpft.

Man stelle sich also noch einmal die Welt ohne soziale Medien vor, dazu hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang. Das einzige Mittel des Austausches war oft die Mund-zu-Mund-Propaganda. Gerüchte wurden so zu wichtigen Informationen in einer abgeriegelten Gesellschaft. Die Community war außerdem so klein, dass es kaum Trennung zwischen schwulen und lesbischen Gruppen gab. Ein Umstand, der nach der Wende für Irritation im Austausch mit der lesbischen Community im Westen sorgte. Mit Blick in die Gesellschaft der Bundesrepublik wuchs in dieser Übergangsphase die Sorge bei den Lesben aus dem Osten, dass sie ihre Rechte als Frauen wieder verlieren könnten. Deshalb formierte sich bereits im Dezember 1989 der Unabhängige Frauenverband (UFV) in der Volksbühne, zu der Auftaktveranstaltung erschienen über 2000 Frauen. Die Forderungen des heute über 30 Jahre alten Programms lesen sich deprimierend aktuell. Es wird zum Beispiel die Reformierung des Bildungssystems verlangt, dazu gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit.

Allein diese Tatsache zeigt, wie wichtig das abseitig verhandelte Thema der Lesben im Osten und ihrer Emanzipation bis heute ist. Denn es waren oft lesbische Frauen, die die Frauenfrage und Emanzipation nach vorne getrieben haben. Doch ostdeutsche Lesben leiden unter einer mehrfachen Stigmatisierung: lesbische Frau zu sein in einem patriarchalen, heteronormativen System und in der Geschichte nicht zu den Gewinnerinnen zu gehören. Ostdeutsch ist in den Vorstellungen vieler weder sexy noch spezifisch progressiv. Wo sollte da Platz für eine um Gleichberechtigung kämpfende Gruppe von Lesben sein? Barbara Wallbrauns Workshop und ihr Dokumentarfilm »Uferfrauen« verschaffen diesen vergessenen Vorreiterinnen Gehör.

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