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Nur die Frau eines Viehtreibers

Der Film »Die Legende von Molly Johnson« macht eine toughe Frau zur Heldin der australischen Siedlergeschichte

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Komm mir zu nah und ich erschieß und begrab dich an Ort und Stelle.
Komm mir zu nah und ich erschieß und begrab dich an Ort und Stelle.

»Ich bin nur die Frau eines Viehtreibers. Komm mir zu nah und ich erschieß und begrab dich an Ort und Stelle.« Eine knallharte Ansage, die man sonst nur von männlichen Westernhelden kennt.

In Leah Purcells Westerndrama kommt sie aber aus dem Mund ihrer hinreißenden, titelgebenden Hauptfigur Molly Johnson, die von der Regisseurin selbst gespielt wird. Wir schreiben das Jahr 1893. Molly Johnson ist mit ihren vier Kindern auf einer weit abgelegenen Farm in den Gebirgsausläufern der Snowy Mountains in New South Wales ganz allein auf sich gestellt. Da darf frau keine Schwäche zeigen, zumal Molly hochschwanger und ihr höchst unzuverlässiger Mann nicht da ist.

Der Fremde, dem ihre eindringliche Warnung galt, ist der Aborigine Yadaka (Rob Collins), der auf der Flucht vor den weißen Gesetzeshütern ist. Doch nachdem sie sich notgedrungen von ihm bei der schwierigen Geburt ihres Kindes helfen lässt und er ihr anschließend einen Sarg für ihr totgeborenes Kind zimmert, fasst sie ganz allmählich Vertrauen zu ihm.

Im Kern gleicht der Filmplot der ursprünglichen Kurzgeschichte des Schriftstellers Henry Lawson aus dem Jahr 1892 – bis heute ein Meilenstein der australischen Literatur. Doch Leah Purcell, die selbst zur Hälfte Aborigine ist, hat die »weißgewaschene« Fabel – mit der ursprünglich namenlosen Heldin – aus indigener, feministischer und antikolonialer Perspektive neu interpretiert.

Der Stoff treibt sie schon um, seit ihre Mutter aus dem Volk der Goa-Gunggari-Wakka-Wakka ihr Lawsons Geschichte im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal vorgelesen hat. Purcell machte die Geschichte der toughen Frau eines Viehtreibers zu ihrem Lebenswerk, interpretierte sie für verschiedene Formate neu, so wie es in ihrer Kultur Tradition ist, sich zu erinnern und Geschichten immer weiter und weiter zu spinnen. Zunächst adaptierte sie den Stoff sehr erfolgreich für die Bühne, dann weitete sie ihn zu einem Roman aus, der zur Grundlage dieses fesselnden Westerns wurde.

Auch im Film selbst werden wir Zeug*innen, wie die Ureinwohner Australiens ihre generationsüberschreitenden Geschichten weitergeben. So führt Yadaka einmal tanzend auf, wie Molly einen Bullen, der sie und ihre Kinder bedrohte, mit einem gezielten Schuss zwischen die Augen getötet hat. Das Mahl, das sie aus dem Tier bereitet hat, lockte auch ein Ehepaar an: Nate (Sam Reid) und Louisa Klintoff (Jessica De Gouw), die von ihrer langen Reise durch das weite Land hungrig und erschöpft bei ihr stranden.

Großartig, wie Kameramann Mark Wareham die gleichzeitig faszinierende wie erbarmungslose Landschaft mit ihren unendlichen Horizonten als weiteren Protagonisten ins Bild rückt, doch ebenso perfekt eingesetzt sind seine Close-ups der Gesichter der exzellenten Hauptdarsteller*innen, die eine Geschichte erzählen, die man nicht in Worte fassen kann. Der dramatische Score von Salliana Seven Campbell unterstützt diese Wirkung noch.

Nate will in der nächstgelegenen Siedlung Everton seinen Job als Sheriff antreten. Louisa ist mit feministischen Ambitionen ins Terra nullius gereist, sie will dort eine Frauenzeitschrift gründen und gegen die alltägliche häusliche Gewalt und den sexuellen Missbrauch anschreiben. Leider wirken Louisas Bemühungen für Frauenrechte besonders gegen Ende des Films, der ansonsten wohldurchdacht ist, etwas aufgesetzt.

Alle anderen Themen, wie die fatalen Folgen der Kolonialisierung durch die Briten, die Auswirkungen der von 1788 bis 1934 andauernden australischen Grenzkriege und eine rassistische Regierungspolitik, die eine gestohlene Generation (die Kinder der Aborigines wurden einfach aus ihren Familien genommen, um sie umzuerziehen) hervorbrachten, sind dramaturgisch geschickt in die individuelle Geschichte von Molly Johnson eingebunden.

Der Löwenmutter, die dem Siedler-Ehepaar für eine Weile ihre Kinder mitgibt, damit sie ungestört ihr Baby bekommen kann, will man im Verlaufe des Films ihre Sprösslinge entreißen, da sich herausstellt, dass ihre Mutter eine Aborigine ist. Doch da haben die Kolonialherren die Rechnung ohne eine Frau gemacht, die sich für ihre Kinder ihr eigenes Herz herausreißen würde.

Herzergreifend ist auch das starke Band, das sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn Danny verbindet, der verblüffend nuanciert von Malachi Dower-Roberts gespielt wird. Wenn Yadaka den von seinem Vater häufig verprügelten Danny darin unterweist, was wahre Männlichkeit bedeutet, gehört das zu den berührendsten Momenten eines an dramatischen Momenten reichen Films. Mit weniger talentierten Schauspielern hätten die eindeutigen Botschaften des Films möglicherweise ein wenig bemüht gewirkt. Doch Molly Johnsons stoischem Blick kann Mensch nicht entkommen und so wünscht man sich, während die Titel bereits laufen und Purcell ihre Version von »Black is the Colour of my True Love’s Hair« singt, dass noch viele weitere Filme mit einem erbarmungslosen Blick auf die Kolonialverbrechen rund um den Globus ihren Weg ins Lichttheater finden.

»The Drover’s Wife – Die Legende von Molly Johnson«: Australien 2021. Regie und Drehbuch: Leah Purcell. Mit: Angela Littlejohn, Bain Stewart, David Jowsey, Greer Simpkin, Nicole Dade. 109 Minuten. Start: 10.11.

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