Spiel mit dem Nichts

Zum Tod der Musikerin Mimi Parker

  • Erik Hanzlicek
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch wenn die Neologismen, die der Musikjournalismus gern zur Bezeichnung neuer Genres und Subgenres findet, von den Musikerinnen und Musikern häufig abgelehnt werden, kann man oft nicht leugnen, dass vor allem retrospektiv durchaus etwas getroffen wurde. So verhält es sich auch mit dem Begriff »Slowcore«. Anfang der 90er Jahre wurden mit ihm Bands wie Codeine, Bedheads und Low belegt, um, im ironischen Bezug zum Hardcore-Punk, die ihnen gemeinsame langsame Songentfaltung zu kennzeichnen. Stilistisch gingen die genannten Bands zwar durchaus auseinander, doch teilten sie den Ausdruck einer Art existenziellen Furcht. Diese speiste sich im Hardcore vor allem aus teenage angst vor der Zukunft, im Slowcore eher aus einem vagen religiösen Existenzialismus. Im Fall von Low war diese Religiosität allerdings ziemlich konkret.

Seit 1993 bildeten Mimi Parker, die am 5. November im Alter von 55 Jahren verstorben ist, und ihr Ehemann Alan Sparkhawk als praktizierende Mormonen den Kern der Band. In ihrer Musik ist allerdings nicht religiöse Erbauungsarbeit Programm, sondern der Riss, der zwischen Glauben und Erkenntnis verläuft, zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen Leben und Tod. Wie hoffen in einer so hoffnungslosen Zeit? Der Gesang und das Schlagzeugspiel von Parker sind substanzieller Bestandteil der Produktionen, an denen man diesen Riss ganz sinnlich erfahren kann. Entweder umschlingen und durchdringen sich ihre und Sparhawks Stimmen immer wieder oder Parkers Stimme steht ganz klar und ganz allein im Raum, manchmal nur einen Satz oder nur ein Wort wiederholend, bis sich der Sinn wandelt oder gar ganz auflöst. Eine Zartheit, die immer droht, ins Nichts umzuschlagen, durch Verklingen oder einen knallenden Donnerschlag. Ein Spiel mit eben diesem Nichts, das auch durch die immer stärker entfremdenden und abstrahierenden Produktionsweisen der letzten Alben verstärkt wurde und in dem letzten Album »Hey What« von 2021 gipfelt. Hier wird endgültig Körperlichkeit zugunsten der Darstellung eines digitalen Maschinenraums aufgegeben. Störgeräusche aus den Schaltkreisen, Glitches und Stimmmodulationen erzeugen eine unbehagliche Entweltlichung. Parkers Stimme und Schlagzeugspiel sind auch auf diesem Album Fundament und Tragwerk der Songs zugleich, aber die Metaphorik gelangt hier an ihre Grenzen, denn Parker und Sparhawk waren ein so kongeniales Paar, dass sich eine genaue Identifizierung der Einzelleistungen gar nicht vornehmen lässt.

Bietet die Kunst die Möglichkeit, gesellschaftlich zugeschriebene Rollen aufzulösen, ist das im Alltag nicht immer so einfach. In diesem schien Parker nach allem, was man von der Band mitbekam, immer ein wenig in den Hintergrund zu rücken. Und auch die uns aktuell umtreibende Frage nach Verteilung von Reproduktionsarbeit ist in einem Bandgefüge, welches gleichzeitig Familie ist, nicht gelöst. Dies vermittelt eindrücklich die Dokumentation »You May Need A Murderer« von 2008. Hier wird Parker immer wieder gezeigt, wie sie kocht, die Kinder betreut, emotionale Arbeit für ihren Mann leistet. Der unten im Keller Gitarre spielt. Verklärung dieser disparaten Situation sollte man nicht betreiben, man sieht Parker die Mehrbelastung an. Doch das musikalische Werk der beiden Eheleute geht darin nicht auf, spiegelt nicht diese Realität. In ihm wird in nicht wenigen Momenten vorgeführt, wie sich reale Versöhnung anfühlen könnte.

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