Von Schönheit und Schrecken

Eine Ausstellung widmet sich der Königsheide, der Natur – aber auch einer grausamen Vergangenheit

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.
Fotografische Ansicht durch die Lochkamera aus der Königsheide
Fotografische Ansicht durch die Lochkamera aus der Königsheide

Vor Dagie Brundert auf dem Tisch stehen eine Kanne grün-bräunlicher Masse, die nach Moos und Pilz duftet, ein Topf, verschiedene Pulver und Flüssigkeiten sowie ein sogenannter Lomo-Tank. Darin steckt ein 15 Meter langes aufgerolltes Super-8-Filmband, das ein dreiminütiges Video beinhaltet. Die Film- und Fotografie-Künstlerin hat es einige Tage zuvor in der Königsheide gedreht. Der 110 Hektar große Mischwald in Schöneweide ist Thema der Ausstellung »Königsheide – eine explorative Annäherung« im Rahmen des Projekts »City Frequency«. Brundert hat sie in der vergangenen Woche zusammen mit den Künstlerinnen katrinem, Birgit Szepanski und Maike Zimmermann im Kunsthaus CLB am Moritzplatz eröffnet.

Für Brundert ist der Wald auch »Werkzeug« ihrer Kunst. Der bräunliche Sud, mit dem sie während der Vernissage ihren Super-8-Film entwickelt, besteht aus Blättern, Rinden und Moosen, die sie in der Königsheide gesammelt hat. Pflanzen enthalten sogenannte Phenole, die, gemischt mit Waschsoda und Vitamin C, mit den Silbersalzen der Filme reagieren. »Ich finde das unglaublich sexy«, sagt Brundert zu »nd«.

Eine bekannte Alternative zu giftigen Fotochemikalien sei Kaffee. Sie habe inzwischen schon viele weitere umweltfreundliche Stoffe wie Tee, Rotwein, unterschiedlichste Obst- und Pflanzenarten ausprobiert, erzählt sie den knapp 30 Besucher*innen der Vernissage, während sie ihre Zutaten abwiegt, zusammenschüttet und den Super-8-Film mit dem »Wald-Tee« reagieren lässt.

An der Wand hinter Dagie Brundert ist derweil ein digitaler Film zur Königsheide zu sehen, der die Betrachter*innen Waldwege entlang- und durch Geäst hindurchführt. Ab und an taucht ein animiertes grau-gezacktes Wesen darin auf – »das Wesen der Königsheide«, erklärt Maike Zimmermann. Sie ist Videokünstlerin und Initiatorin der Ausstellung und hat die Königsheide während der Corona-Lockdowns für sich entdeckt. Auf der Suche nach einem Ort mit wenig Menschen landete sie in dem kleinen Wald hinter dem Teltowkanal am Ende der Sonnenallee und war »überrascht, dass es noch so einen naturbelassenen Ort in Berlin gibt«, erzählt sie.

Das habe sie an ihre Kindheit erinnert und zu einem Videowalk mit Augmented Reality (Erweiterte Realität) inspiriert, bei dem Menschen mit Tablets durch die Königsheide laufen. An verschiedenen Punkten tauchen Figuren wie das graue Wesen auf den Computerbildschirmen auf. Diese wiederum sind 3D-Konstruktionen aus Fotografien von Blättern. Im CLB sind mit der Filmprojektion und Fotos Vorarbeiten des Videowalks zu sehen, der 2023 fertiggestellt werden soll. Zimmermanns Ziel sei es, »die Wertschätzung von Naturräumen aufzuwerten, um das öffentliche Bewusstsein zum Thema Klimawandel zu vertiefen«, sagt sie.

Auch ihre Mitkünstlerin katrinem hat einen Spaziergang durch die Königsheide konzipiert, in dem sie sich auf individuelle Wahrnehmungen und Klänge konzentriert. »Jeder hat eine andere Perspektive auf die Umgebung. Und interessant ist, dass sie jedes Mal anders klingt«, sagt katrinem zu »nd«. Im CLB können über QR-Codes beispielhafte Videos aufgerufen werden: Verkehrsgeräusche an der S-Bahn-Station Baumschulenweg, Gespräche von Hundebesitzer*innen mit ihren Vierbeinern, Klopfen auf Holz und andere Klänge geleiten hier durch die Königsheide.

Den hinteren Teil des Ausstellungsraumes nimmt das »Offene Archiv« von Birgit Szepanski ein, eine dokumentarische Recherche zur Geschichte des Wäldchens. Im Bauaktenarchiv Treptow-Köpenick stieß die Künstlerin und Autorin auf Baupläne von 1942. Darauf waren Bordell-Baracken eingezeichnet, in denen Frauen in der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten mussten. Als sie das herausfand, sei ihr »erst mal schlecht geworden«, erzählt Szepanski. Dann habe sie weiterrecherchiert, aber keine Informationen zu den Frauen gefunden, die dort arbeiten mussten.

Allein im an die Königsheide angrenzenden Johannisthal gab es laut Lagerdatenbank des NS-Dokumentationszentrums Schöneweide mehr als ein Dutzend Orte, an denen zivile Zwangsarbeit geleistet wurde.

Allgemein sei das Thema Sex-Zwangsarbeit sehr unbekannt, und auch in der Königsheide weise nichts auf diese furchtbare Vergangenheit hin, so Szepanski. Die will sie in ihrer Arbeit mit dem Titel »Missing Stories« sichtbar machen: Auf dem Boden ist der Grundriss eines Barackenzimmers eingezeichnet, daneben liegt eine zertrümmerte Blumenvase. Bordellbaracken seien oft mit Blumen dekoriert gewesen, »damit die Männer sich wohlfühlen«, sagt Szepanski.

Auf der anderen Seite liegt ein körperloses Kleid im 40er-Jahre-Stil, das »das Fehlen der Frauen« symbolisieren soll. Außerdem gestaltete sie zwei Miniaturen möglicher Denkmäler aus Wachs, die an die Zwangsarbeiterinnen erinnern könnten. So nähern sich die vier Künstlerinnen der Königsheide in einem Zusammenspiel von Natürlichem und Digitalem, von Momentaufnahmen und Recherchearbeit.

Die Ausstellung »Königsheide – eine explorative Annäherung« ist noch bis zum 20. November, täglich von 14 bis 20 Uhr im CLB Berlin, Prinzenstraße 84.2 zu sehen.

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