WM? Lieber Fußball schauen!

Wer Fußball im Stadion und nicht vor der Glotze feiert, hat keine Alternative: Die WM in Katar wird ignoriert.

Das war er also, der letzte Bundesliga-Spieltag vor der Wüsten-Winterpause. Ab dem kommenden Wochenende wird der auf angenehme 20 Grad heruntergekühlte Ball in Katar rollen. Höchste Zeit also, sich an dieser Stelle einmal nicht über Politik auszulassen, sondern über Fußball. Wobei angesichts dieser WM auch die Dümmsten gemerkt haben, dass man das eine nicht vom anderen trennen kann. Über die Allerdümmsten ist damit allerdings noch nichts gesagt. Jede Wette, dass ab Montag auch viele Promis sagen werden, dass es nun allmählich aber auch mal genug sein müsse mit den ollen Menschenrechten. Wir seien doch alle Fußballfans und hätten Wichtigeres zu besprechen: Die ausgeheilte Schulter von Manuel Neuer zum Beispiel.

Derweil ist unter der Woche beim DFB ein Schreiben der Initiative »BoycottQatar2022« eingetroffen, in dem die Initiatoren zweierlei fordern: Erstens, der DFB soll Druck auf den Weltverband FIFA ausüben, damit der die Erlöse in einen Entschädigungsfond für die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten zahlt. Zweitens: Falls die FIFA sich, wie zu erwarten, dagegen sträubt, soll der DFB das selbst tun. Im Übrigen könnten auch die Spieler ihre Prämien zugunsten der Familien spenden, die auf den WM-Baustellen Angehörige verloren haben.

Christoph Ruf
Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Man möchte jetzt ungern in der Haut der Mitarbeiter der DFB-Pressestelle stecken, denn diese Forderungen haben es in sich. Zum einen stimmt es natürlich, dass die korrupte FIFA die Verantwortung für dieses Turnier trägt. Doch der DFB ist ein wichtiger Teil von ihr, er hat sich erst dann an der Menschenrechtslage vor Ort gestört, als die Proteste aus den Kurven und der Zivilgesellschaft unüberhörbar wurden. Und auch er profitiert finanziell enorm von den vier Wochen. Fußball-Weltmeisterschaften sind ein Riesengeschäft für die nationalen Verbände und in Zeiten unsicherer wirtschaftlicher Prognosen essenziell. Aus dem Dilemma, sich zwischen Profit und Ethik entscheiden zu müssen, wird also auch der DFB nicht herauskommen. Auch nicht durch eilends von ihm organisierte »Menschenrechtskongresse«.

Bereits entschieden haben sich die aktiven Fanszenen, die in puncto Katar den gleichen Vorteil haben wie ich: Anhängerinnen und Anhänger der These, dass Fußball im Stadion und nicht vor der Glotze stattfindet, interessiert die Nationalmannschaft per se nicht. Insofern fällt es nicht mal schwer, eine Entscheidung zu treffen, zu der es in diesem Fall ja sowieso keine Alternative gibt: Die Glotze bleibt aus, die Wochenenden frei. Und Fußball gespielt wird ja trotzdem, anfangs noch in der dritten Liga. Und ab der Regionalliga abwärts sogar eine Weile länger. »Keine WM auf uns‹rem Screen. Denn wir hoppen durch Berlin«, haben Hertha-Fans am Samstag auf ein Transparent geschrieben und damit das angekündigt, was wohl tausende Fans bald tun werden: Die Berlin-Ligisten vor Ort beehren, letztmals schauen, wie hübsch das Wattenscheider Lohrheidestadion ist, bevor es im neuen Jahr »renoviert«, also verschandelt wird, nach Jena fahren, wo ich am Freitag einen tollen Abend im wirklich gelungenen Neubau verbracht habe. Schauen, wie es in Uerdingen so ist, nachdem dort wieder vernünftige Leute statt Investoren das Sagen haben. Oder was aus großen Namen der Vergangenheit wie Stahl Brandenburg, den Stuttgarter Kickers oder Wacker Burghausen so geworden ist. 

Okay, man muss natürlich bereit sein, auf einiges zu verzichten, was den Profifußball so attraktiv macht: Werbe-Terror, Geheimtrainings und explodierende Gehälter. Und nicht zu vergessen, den VAR, der dafür sorgt, dass Fehlentscheidungen nicht – wie in der Kreisliga – sofort getroffen werden. Sondern nach viereinhalb Minuten, in denen 20 ausgebildete Schiedsrichter und 58 Kameras draufgeschaut haben. All das kritisiert auch die aktiven Fanszene, für die das Turnier auch eine spannende Frage parat hat: Wenn das, was sie auf den Amateurplätzen sehen, der sympathischere Fußball ist – warum sollten sie dann im neuen Jahr wieder zurück zu ihrem Profiverein?

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