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Urteil gegen Antiziganismus

Schmerzensgeld für Sinteza wegen Diskriminierung

  • Dieter Hanisch, Neumünster
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ein hoffentlich wegweisendes und Mut machendes Urteil«, kommentierte Kelly Laubinger die Entscheidung von Amtsrichterin Antje Vogt. Diese hat am Freitag Laubingers Ansicht bestätigt, dass es sich bei der Ablehnung ihrer Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio in Neumünster um einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz handelte. Sie verfügte, dass der Betreiber des Studios, Wolfgang B., Laubinger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1000 Euro zahlen muss.

Die Klägerin ist Co-Vorsitzende der Bundesvereinigung der Sinti und Roma sowie Vorsitzende der Sinti Union Schleswig-Holstein. Ihr ging es bei dem von ihr angestrengten Zivilverfahren gegen den Studioinhaber von Anfang an um das öffentliche Signal und nicht um ihre Person. Deshalb werde sie die ihr zugesprochene Summe auch an gemeinnützige Projekte von Sinti und Roma spenden, kündigte die 33-Jährige an.

Als Laubinger im Frühsommer des vergangenen Jahres in dem Fitnesscenter ihre Mitgliedschaft beantragte und trotz Vorlage eines Covid-Impfnachweises und einer Verdienstbescheinigung zunächst hingehalten und dann mit nicht zutreffenden Begründungen zur angeblichen Auslastungskapazität aufgrund der geltenden Corona-Verordnung bis hin zum Hausrecht abgewiesen wurde, blieb sie hartnäckig. Denn das Studio warb zeitgleich in der örtlichen Presse um Mitglieder. Außerdem bekamen zwei von ihr als »Testpersonen« engagierte Freundinnen ohne Probleme ein Beitrittsformular ausgehändigt. Laubinger vermutet deshalb eine weitere Ausgrenzung, wie sie und ihre Familie sie bereits unzählige Male beruflich und privat erlebt haben, allein aufgrund ihres unter Sinti und Roma verbreiteten Familiennamens.

Nach Rücksprache mit dem Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein entschloss sie sich, juristisch gegen Wolfgang B. vorzugehen. In der Befragung vor Gericht lehnte dieser aber eine gütliche Einigung ebenso ab wie eine Entschuldigung bei Laubinger. Sein Verhalten begründete er einmal mehr mit den zu dem Zeitpunkt längst gelockerten Pandemie-Vorschriften und angeblich eigenmächtigem Handeln seines Personals.

B. verwies auf die Weltoffenheit seines Studios und das »Multi-Kulti«-Flair dort. Erst kürzlich habe man doch erst einen Tunesier aufgenommen, sagte er. Dann schilderte er sein Hygienekonzept und Corona-Management und sprach dabei mehrere Male davon, dass er aus Gründen der Gesundheitsvorsorge in seinen Sportkursen und -angeboten eine »Selektion« vornehmen musste. Dies und andere verbale Fehlgriffe dürften der Klägerin und den im Besuchersaal den Prozess verfolgenden Sinti und Roma vor dem Hintergrund der NS-Geschichte übel aufgestoßen sein. Von 1933 bis 1945 wurden in Europa rund 500 000 Angehörige dieser Ethnien ermordet.

Angesichts des aktuell aufkeimenden Rassismus gerade auch gegenüber aus der Ukraine in Deutschland Zuflucht suchenden Roma ist Kelly Laubinger überzeugt, dass Urteile wie das in ihrem Fall helfen, das Selbstwertgefühl der eigenen Volksgruppe zu stärken. Die junge Frau ist inzwischen Mitglied in einem anderen Sportstudio in ihrer Heimatstadt.

Schleswig-Holstein hat – als erstes Bundesland – im Jahr 2012 Sinti und Roma als anerkannte Minderheiten in seiner Landesverfassung benannt. Rund 6000 Angehörige der Ethnien mit deutscher Staatsangehörigkeit leben im nördlichsten Bundesland.

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