- Berlin
- Dokumentarisches Theater
Klimakrise zerstört Leben
Von Feuer bis Flut: Die Klima-Monologe bringen Menschen, die fast alles verloren haben, nach Berlin
Als es in dem idyllischen Ort Paradise in Kalifornien 2018 zu brennen beginnt, arbeitet Leigh-Ann in einem Krankenhaus. 80 Patient*innen müssen evakuiert werden, anschließend versucht sie mit dem Auto zu fliehen, aber überall herrscht Stau und überall ist Feuer. »Ich werde sterben. Ich will nicht allein sein«, sagt die Darstellerin, die Leigh-Ann auf der Bühne verkörpert. Genau so hat die echte Leigh-Ann es Michael Ruf erzählt, dem Autor und Regisseur der Klima-Monologe.
Für sein dokumentarisches Theaterstück im Rahmen der Organisation »Wort und Herzschlag«, das aktuell im Heimathafen Neukölln zu sehen ist, hat er lange Interviews mit vier Protagonist*innen geführt, die teils mehrere Tage dauerten, und diese lediglich übersetzen lassen und gekürzt. Die sprachliche Ausdrucksweise wurde beibehalten. Und so ist Leigh-Anns Panik angesichts des Feuers im ganzen Theatersaal zu spüren, ihre Angst vor dem Tod, ebenso wie die Erleichterung, als sie an jenem Novembertag plötzlich doch wieder einen flammenlosen Himmel sieht.
Eigentlich freut sich Leigh-Ann, eine Krankenschwester aus Kalifornien, auf die Geburt ihrer Nichte. Dann wird die Klimakrise für sie zur existenziellen Bedrohung. So wie auch für Johora aus Bangladesch, Mutter von drei Kindern, die mit ihrer Familie vom Reisanbau lebt. Für Qabale aus Kenia, die »die Sprache der Tiere« versteht, von und mit denen sie lebt, und die sich eine gute Ausbildung für ihre sechs Kinder wünscht. Und auch für Daniyal aus Pakistan, einen 20-jährigen Studenten, der an Schule und Uni Klimagruppen gegründet hat.
Gerade ist Leigh-Ann dem Waldbrand entkommen, da wird das Publikum schon mit dem Zyklon Aila konfrontiert, der in Bangladesch 2009 eine verheerende Flutkatastrophe verursachte. Johora erzählt, wie schlammiges Wasser über die Dämme bricht und sie mit ihrer Familie auf ein Boot flüchtet. »Ich sah Leute auf den Dächern, überall Leichen, unser Haus wird weggespült. Meine Mutter kann nicht schwimmen!«, schreit sie beinahe. Tatsächlich sterben die Mutter und elf weitere Familienmitglieder in den Fluten.
Die Überschwemmungen in Pakistan haben sich schon länger angebahnt. Als Daniyal 13 Jahre alt war, seien schon Veränderungen an den Gletschern aufgefallen: Sie schmolzen, viel zu schnell, lösten Erdrutsche aus, zerstörten Häuser. »Ich erhielt einen Blick in die Zukunft«, berichtet der Student. Irgendwann hört es nicht mehr auf zu regnen, der Gletscher bricht aus, das Haus seiner Familie, Felder und Vieh werden von den Fluten mitgerissen. »Meine Kindheitserinnerungen, alles ist weg. Dieses Nichts ist wie eine tote Gesellschaft«, sagt er.
In Kenia dagegen fehlt der Regen, die Bäume vertrocknen, es gibt immer weniger zu fressen für die Tiere. Nach und nach sterben die Kühe und Ziegen, die den Lebensunterhalt von Qabales Familie gesichert hatten. Sie können die Schule nicht mehr bezahlen, müssen bald selbst hungern. »Die Kinder schreien nach Essen. Ich bete, dass wir Regen bekommen«, sagt Qabale. An manchen Tagen nimmt sie nichts außer Wasser zu sich, um alle Nahrung ihren Kindern zu geben. Sie hat Angst, dass sie sterben könnten.
So erzählen die vier Schauspieler*innen im Wechsel vom Schicksal der vier Protagonist*innen, ohne die Szenen nachzuspielen, ohne Kostüme, nur mit Stimmen und Worten. Mal springen sie innerhalb weniger Sekunden in die verschiedenen Teile der Erde, von Feuer zu Dürre zu Flut. Dann wieder redet jede*r von ihnen einige Minuten am Stück. Begleitet werden sie von drei Musiker*innen an Flügel, Cello und Violine; die Melodien hat der Pianist eigens für die Klima-Monologe komponiert. Die Erzählungen werden in Übertiteln ins Englische, Französische und Arabische übersetzt.
Nach den Asyl-Monologen, Asyl-Dialogen, NSU-Monologen und Mittelmeer-Monologen sind die Klima-Monologe das fünfte dokumentarische Theaterstück von Michael Ruf. Durch persönliche Biografien und die Schilderung existenzieller Kämpfe holt es die Realität der Klimakrise ins Publikum. Irritierend ist, dass die vier Protagonist*innen immer wieder verharmlosend von »Klimawandel« sprechen statt von »Krise« oder »Katastrophe«, während sie die Auswirkungen auf ihr Leben beschreiben. Zum Beispiel, dass Johoras pakistanische Heimat nach Zyklon Aila noch zwei Jahre unter Salzwasser stand, fünf Jahre lang kein Reisanbau möglich war und ihr Mann verzweifelt andere Wege suchte, um die Familie zu ernähren. Dass, als die Pflanzen irgendwann doch wieder wuchsen, schon der nächste Sturm kam und dann einer nach dem anderen. »Wie oft kann man alles neu aufbauen?«, fragt Johora verzweifelt.
Leigh-Ann erzählt, sie habe nach dem Waldbrand, der ganz Paradise zerstörte, Flashbacks gehabt »von dem Gefühl zu wissen, dass ich sterben werde«. Sie habe viel getrunken. Es sei immer heißer geworden. Dann habe sie begonnen, sich politisch zu engagieren und an Aktionen zivilen Ungehorsams gegen die Fossilindustrie teilzunehmen, die sie »den Feind« nennt. »Wir können nicht so tun, als wäre das Feuer normal. Die Brände sind im Zentrum deines Gehirns«, sagt sie. Auch Daniyal ist politisch aktiv, informiert sich über die Klimakrise, sieht die damit verbundene Ungerechtigkeit: »Pakistan trägt nicht mal ein Prozent zur Klimaerwärmung bei.« Qabale, die nie zur Schule gegangen ist, hat diese Möglichkeit vermutlich nicht, dennoch klagt sie an: »Wenn es jemanden gibt, der verantwortlich ist: Er soll verhaftet werden«, sagt sie.
Unvermittelt denkt man an diejenigen, die zurzeit regelmäßig verhaftet werden: Klimaaktivist*innen, die auf die Krise mit radikalen Mitteln aufmerksam machen. Nicht diejenigen – Konzerne, Industrien oder Politiker*innen –, die verantwortlich sind. Genau das ist Thema des Gesprächs im Anschluss an die Premiere in der vergangenen Woche, das Michael Ruf mit dem Fridays-for-Future-Aktivisten Pit Terjung und Kira Vinke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik führt. »Klimagerechtigkeit und Sicherheit sind verwoben. Es wird an den Realitäten vorbeiregiert«, sagt Vinke. Genau darum sei es so wichtig, weiter für das Klima auf die Straße zu gehen, betont Terjung.
Doch trotz des kämpferischen Nachworts: Die Klima-Monologe sind vor allem bedrückend, bewegend, aufwühlend. Sie halten dem Berliner Publikum den Spiegel der Ungerechtigkeit vor.
Nächste Aufführung der Klima-Monologe: 7.12., 19.30 Uhr, Heimathafen Neukölln
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