Liebe, Halt und geldwerte Dienstleistungen

Familien sind ein unbezahlbarer Wirtschaftsfaktor, für Unternehmen ebenso wie für Regierungen

Die Familie ist für viele Menschen das Wichtigste im Leben, so der Familienbericht des zuständigen Ministeriums BMFSFJ. »Hier finden Sie Liebe, Halt und Geborgenheit.« Regierungen wie auch Unternehmen ihrerseits fördern die Gründung von Familien wegen ihrer umfangreichen geldwerten Dienstleistungen: Hier wird Humankapital gebildet und unbezahlte Care-Arbeit geleistet. Intakte Familien steigern die Produktivität der Beschäftigten und senken die Kriminalität. Zudem dient die Familie in Wirtschaftskrisen als Auffangbecken – zum Beispiel im Falle der so genannten Boomerang-Kids, die wegen Jobverlust oder unbezahlbarer Mieten wieder zu ihren Eltern ziehen.

Ökonomen schätzen Familien, weil Kinderreichtum nicht nur die Probleme der Rentenkassen zu lösen verspricht, sondern ganz prinzipiell das Wirtschaftswachstum fördert. Schließlich ist »das Potenzial an Erwerbsfähigen ein wichtiger Faktor für das Wachstumspotenzial eines Landes«, erklärt die DZ-Bank. Kinderlosigkeit beziehungsweise eine schrumpfende Bevölkerung dagegen mindern die Aussichten für das Wachstum und damit die profitablen Investitionsmöglichkeiten. »Ökonomien werden prosperieren, wenn die Politik den Frauen hilft, Karriere und Familie zu kombinieren«, verspricht der US-Ökonom Matthias Doepke.

Gemeinsam mit Unternehmerverbänden hat die Bundesregierung daher das Netzwerk »Erfolgsfaktor Familie« ins Leben gerufen. Denn »eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine der zentralen Voraussetzungen, um inländisches Fachkräftepotenzial zu heben«, heißt es. Eine familienfreundliche Personalpolitik sorge zudem für »geringere Mitarbeiterfluktuation und damit verbunden geringere Kosten, höhere Motivation und Einsatzbereitschaft der Beschäftigten, weniger Fehlzeiten und erhöhte Produktivität«.

In der Familie werden zudem berufliche Niederlagen und Arbeitsstress verarbeitet. »Mit der richtigen Balance im Leben kann man mit fast allem fertig werden, was einem so geschieht«, wirbt Alison Watkins, Partnerin bei der Unternehmensberatung McKinsey. Familien und Kinder dienen zudem dem Erhalt der öffentlichen Ordnung. Ökonomen der Universität Chicago fanden in einer Untersuchung dieses Jahr heraus: Schwangerschaften reduzieren deutlich »gesellschaftlich abweichendes Verhalten durch soziale Bindungen«. Bei Frauen falle die Kriminalitätsrate in den Jahren nach der Geburt um die Hälfte, bei Männern immer noch um ein Fünftel.

Darüber hinaus leisten im Schoße der Familie vor allem Frauen Millionen Stunden von Gratis-Arbeit im Haushalt und in der Sorge. Laut Statistischem Bundesamt liegt in Deutschland die unbezahlte Arbeit um 35 Prozent höher als die bezahlte Arbeit. »Selbst bei einer vergleichsweise vorsichtigen Bewertung beträgt der Wert der unbezahlten Arbeit etwa ein Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung.« Und das alles gibt es umsonst.

Und schließlich springt die Familie auch in solchen Fällen ein, in denen die Unternehmen zu geringe Löhne zahlen oder keine Jobs bieten, in denen die Grundeigentümer unbezahlbare Mieten verlangen oder der Staat sich mit Leistungen zurückhält. Sichtbar wird dies am Anteil der jungen Menschen, die noch bei den Eltern wohnen. Im wohlhabenderen Deutschland sind das laut Eurostat 30 Prozent der 18- bis 34-jährigen, im ärmeren Italien 71 Prozent und im krisengeplagten Griechenland sogar 73 Prozent. Oder anders berechnet: In Deutschland ziehen Kinder im Durchschnitt mit rund 24 Jahren aus, in Schweden mit 19 Jahren und in Portugal erst mit fast 34.

Gerade in schlechten ökonomischen Zeiten erweist sich die Familie als Auffangbecken für Krisenopfer: Studien in den USA und Großbritannien zeigen eine wachsende Anzahl von »Boomerang Kids«, die die ökonomische Not wieder ins alte Zuhause treibt. Im September 2020 lebte in den USA mehr als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen bei den Eltern, erstmals seit der Großen Depression der 1930er Jahre. In der Altersgruppe 26 bis 41 war es 2021 immer noch ein Viertel. Die Hälfte davon gab an, erst im vergangenen Jahr zurückgezogen zu sein. Als Grund für die Rückkehr ins »Hotel Mama« nannte über die Hälfte der Befragten, sie wollten sparen. Knapp 40 Prozent konnten sich angesichts der gestiegenen Mieten keine eigene Wohnung mehr leisten. Junge Menschen bleiben länger bei den Eltern oder kehren zu ihnen zurück – diese Entwicklung wird auch in Großbritannien beobachtet. »Der wesentliche Grund sind die hohen Lebenshaltungskosten in den großen Städten«, zitiert die BBC die Familientherapeutin Joanne Hipplewith. Für sie dürfte es in Zukunft viel Arbeit geben.

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