»Ohne dich will und kann ich nicht leben«

Der Briefwechsel zwischen Hans und Lea Grundig ermöglicht einen Blick auf ihre Kunst und Liebe

  • Jens Grandt
  • Lesedauer: 6 Min.
Hans und Lea Grundig am Tag ihrer Hochzeit, 1928
Hans und Lea Grundig am Tag ihrer Hochzeit, 1928

Es ist nicht nur der graue Film des Zeitlichen, der Sterne erblassen lässt. Im Zenit der Künste kommt hinzu, dass ein kanonisches Aufleuchten nicht allzu lange nachwirkt. Auch wenn in Memoiren und darauf beruhenden Urteilen prägende Aspekte ausgelassen werden, bleichen Leitbilder aus. Dass die betreffenden Personen in sich widersprüchlich waren, wird kaum zur Kenntnis genommen. All das trifft für das Künstlerpaar Lea und Hans Grundig zu.

Die Berliner Akademie der Künste, die das Grundig-Archiv betreut, hat sich daran gemacht, den privaten Briefwechsel zwischen dem Maler Hans und der Grafikerin Lea Grundig zu erschließen und zu edieren. Drei Bände sind vorgesehen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die alle zwei Jahre einen Hans-und-Lea-Grundig-Preis auslobt und das öffentliche Interesse an Werk und Wirken der Namensgeber wachzuhalten sich bemüht, fördert großzügig das ambitionierte Projekt. Da sich im Verlauf der Arbeit an und mit dieser enormen Korrespondenz eine Vielzahl neuer Erkenntnisse, Einsichten, auch Bezüge zu bisher verschwiegenen oder wenig erkundeten Netzwerken ergaben, schien es angebracht, bereits vor Erscheinen des ersten Briefbandes einen »Werkstattbericht« vorzulegen.

Die in einer jüdischen Kaufmannsfamilie 1906 geborene Lea Langer und der fünf Jahre ältere Hans Grundig hatten sich während des Studiums an der Dresdner Akademie für Bildende Künste kennengelernt. Leas orthodoxer Vater setzte alle Hebel in Bewegung, das Paar zu trennen. Er verwies die Tochter in ein jüdisches, psychotherapeutisches Sanatorium im fernen Heidelberg. Zwar litt Lea an nicht-organischen Herzbeschwerden, die sie oft deprimierten, aber das eigentliche Ziel dieser erzwungenen »Therapie« war, sie von der Dresdner Boheme fernzuhalten.

Der hartherzige Vater erreichte das Gegenteil. Es entfaltet sich ein ungewöhnlich intensiver Briefwechsel. Sie schreiben sich fast jeden Tag, antworten unverzüglich. Sie reflektieren nicht nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der jeweils anderen Umgebung, sondern auch ihr künstlerisches Schaffen, ihre zunehmende Politisierung. Gefühle, Eindrücke, Äußerungen anderer werden affektiv mitgeteilt. Und wie eindrücklich, hinreißend emotional sind diese Briefe – allein die Anreden: »Hans, wie hattest du Recht …«, »Außerdem, mein liebes Schwarzes …«, »Mein Liebster, gestern fuhr mein Vater weg …« (vor dem sie Angst hatte) und: »Lea, ohne Dich will und kann ich nicht leben …«

Den Beginn ihrer Liebe zu datieren, erwies sich als ein investigatives Kunststück. Den Auftakt schien ein Brief Lea Langers aus Wien vom 17. Juni 1925 zu dokumentieren. Das erwies sich nach chronologischen und inhaltlichen Vergleichen als fraglich. Lea Grundig (seit 1928 sind sie verheiratet) hatte die Angewohnheit, ihren privaten Briefwechsel in Alben zu binden, die als Artefakte erhalten bleiben sollten. Aber viele Schreiben sind undatiert und die Reihenfolge der Einlagen ist nicht immer schlüssig. Bei dieser nachträglichen Zuordnung muss sie sich verschrieben haben: 1925 statt 1926.

Während ihrer Recherchen entdeckte Kathleen Krenzlin, die Herausgeberin des »Werkstattberichts« und der Briefbände, ein Foto von einem Gauklerfest im Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Die Gesichtszüge des Mannes erinnerten sie an Hans Grundig. Aber war er es? Und wer ist die Frau auf seinem Schoß mit dem kessen Lächeln und dem vorwitzigen Hut? Eine morphologische Begutachtung ergab eine klare Identifikation. Der forensische Sachverständige Hilja Hoevenberg erkannte an der rechten Hand der Frau eine seltene erbliche Fehlbildung: einen vollständig gegliederten, aber verkürzten Zeigefinger, wie auch auf späteren, zweifelsfreien Porträts von Lea Grundig ersichtlich. Der Datumsstempel des Fotos: 25. Januar 1926. Es liegt also nahe, dass dies in etwa der Moment war, in dem aus Lea Langer und Hans Grundig ein Paar wurde, wie Kathleen Krenzlin vermerkt.

Der Nachlass enthält etwa 650 Briefe, die sich beide zwischen 1926 und 1958, dem Todesjahr von Hans Grundig, gegenseitig geschrieben haben. Dazu kommen zirka 70 Briefe, die in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem aufbewahrt werden. Ein großer Teil der Hinterlassenschaft war nach Leas Tod 1977 gegen ihren testamentarischen Willen von der SED-Bezirksleitung Dresden in Verwahrung genommen worden. Offensichtlich sollte die – wenn überhaupt gestattete – Auswertung kontrolliert werden, galt doch Lea Grundig, die von 1964 bis 1970 Präsidentin der Verbandes Bildender Künstler und ab 1963 Mitglied des Zentralkomitees der SED war, als eigensinnige und unberechenbare Genossin. Durch die Teilung des Nachlasses war an eine systematische Bearbeitung seinerzeit nicht zu denken.

Andererseits sah sich Lea Grundig aufgrund ihrer prominenten Position, die sie in der DDR innehatte, veranlasst, ihre Autobiografie »Gesichte und Geschichte« stellenweise zu glätten und etwas zu idealisieren. Liest man die durchaus aufschlussreichen, auch spannenden Erinnerungen, empfindet man eine Diskrepanz zur privaten Korrespondenz, »die in ihrer Direktheit und Unverstelltheit, in ihrer Unmittelbarkeit von hohem kulturellen Wert ist«, wie im »Werkstattbericht« zu lesen. Erst der Aufschluss der Briefe, die bisher keinen Eingang in die Forschung gefunden haben, offenbart die »wahre« Persönlichkeit in all ihrer Facetten.

Anfangs fühlt sich Lea Langer an dem psychoanalytisch orientierten Sanatorium unwohl. Doch von Woche zu Woche freundet sie sich mehr mit dem ungewohnten Milieu an. Am Ende ist sie von der Wirkmächtigkeit des Unbewussten und dem günstigen Einfluss der Psychoanalyse überzeugt: »Die Sprechstunden sind das Beste hier.« Sie fördern sogar ihre politische Bildung auf unerwartete Weise. Ausgerechnet Erich Fromm seziert nicht nur ihre »Überempfindlichkeit«, er hält auch Vorträge über die Kapitalismuskritik eines gewissen Karl Marx, sodass Lea anfängt, das »Kapital« zu lesen. Ein spezieller Beitrag über das Konzept des Heidelberger Therapeutikums, das in der Historiographie bisher so gut wie keine Erwähnung fand, bereichert den Band. Der Briefwechsel zwischen Lea und Hans Grundig ist zurzeit das bedeutendste zeitgenössische Dokument zur Geschichte dieser psychoanalytischen Enklave, deren Zeugnisse nach der Machtergreifung Hitlers vernichtet wurden; die Hauptakteure mussten fliehen.

Schon in ihrer Heimatstadt Dresden bewegten sich die beiden angehenden Künstler im linksradikalen Milieu, dessen Netzwerk der Kunsthistoriker Marcel Bois detailliert aufdröselt. Es gab an der Kunstakademie eine bisher wenig beachtete kommunistische Studentenfraktion, deren Mitglieder sie waren. Noch schwankten sie zwischen Anarchosyndikalismus und Marxismus, aber 1926 treten sie in die KPD ein. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Sachsen damals (heute kaum vorstellbar) eine »rote Republik« war. Zeitweise regierte die Sozialdemokratie, toleriert und unter Beteiligung von KPD-Politikern. »Ich werde auf jeden Fall Parteifunktionär werden«, schrieb die Zwanzigjährige 1927. Worauf Hans etwas zurückhaltend reagiert und zu verstehen gibt, sie hätten doch »die Sache« noch gar nicht gründlich verstanden.

In den Folgejahren engagieren sie sich, auf der Straße und mit ihrer Kunst, im antifaschistischen Widerstand. Es beginnt eine Tortur der Verfolgung und schmerzlicher Trennung. Lea Grundig wird viermal verhaftet. Monatelang bangt sie um das Schicksal ihres geliebten Hans, der im KZ Oranienburg den Mordgelüsten der SS zu entgehen versucht. Ihr gelingt die Flucht auf dem völlig überlasteten Schiff »Pazifik« von Rumänien nach Palästina. Diese »Passagen des Exils« sind ein Kapitel für sich. Durch die demnächst veröffentlichte Korrespondenz werden die unsäglichen Umstände, die Leiden der Betroffenen, aber auch ihr Mut nacherlebbar. Die Erschließung der vor allem von Hans Grundig in schwer lesbarer Kurrentschrift geschriebenen Briefe ist eine editorische Herausforderung. Dem ambitionierten Team ist eine breite Resonanz zu wünschen.

Kathleen Krenzlin (Hg.): »Schreib mir nur immer viel«. Der Briefwechsel zwischen Hans und Lea Grundig. Ein Werkstattbericht. Deutscher Kunstverlag, 243 S. Mit 139 farbigen Abbildungen, br., 24 € .

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