»Die Teuerung trifft Menschen mit geringem Einkommen eher«

Florian Blank über die Entwicklung bei der Grundsicherung im Alter und die Frage, ob diese Sozialleistung zum Leben ausreicht

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie entwickelt sich die Zahl der Menschen in der Grundsicherung im Alter?

Die Zahl der Bezieher von »Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung« ist seit Einführung der Leistung fast jedes Jahr gestiegen. Das gilt auch für die Gruppe der Menschen, die die Grundsicherung im Alter beziehen. Es sind häufiger Frauen als Männer, die im Alter Grundsicherung beziehen. Im Juni 2022, dem letzten Zeitpunkt, für den Daten vorliegen, wurden vom Statistischen Bundesamt rund 630 000 Bezieher dieser Sozialleistung registriert.

Interview

Florian Blank ist Leiter des Referats Sozialpolitik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Experte für die »Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“.

Wächst damit die Altersarmut?

Bezogen auf alle Personen oberhalb der Regelaltersgrenze war der Anteil der Grundsicherungsbezieher in den vergangenen Jahren weitgehend stabil und lag bei etwas über drei Prozent. Ob sich der im Jahr 2021 gemessene Anstieg dieser Quote fortsetzt, bleibt abzuwarten. Die letzten Zahlen für den Juni 2022 sprechen eher für einen Anstieg. Dabei widerspiegeln diese Zahlen verschiedene Entwicklungen: Im Grundsicherungsbezug zeigen sich sowohl die Höhe und die Ausgestaltung anderer Sozialleistungen wie Renten oder Wohngeld als auch die Zugänglichkeit und Nutzung der Grundsicherung. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen die ihnen zustehende Leistung nicht beanspruchen. In die absoluten Zahlen fließen auch demografische Entwicklungen ein, also die Größe der Gruppe oberhalb der Altersgrenze. Die Entwicklung der Grundsicherungsleistungen ist ein möglicher Blickwinkel auf Altersarmut. Allerdings liegt die Grundsicherungsschwelle unterhalb anderer Werte, die zur Messung von Armut herangezogen werden können.

Das heißt, die Politik zieht eine andere Armutsgrenze als die Statistiker?

Es gibt verschiedene Wege, Armut zu messen. Eine Möglichkeit ist die Nutzung statistischer Daten, dies führt zur sogenannten Armutsschwelle oder Armutsrisikoschwelle. Eine zweite Möglichkeit sind Zahl und Quote derer, die öffentliche Leistungen wie die Grundsicherung in Anspruch nehmen. Dabei fließen die politisch gesetzte Grundsicherungsschwelle und das Verhalten der Anspruchsberechtigten ein, also ob die Leistung genutzt wird. Die statistische Schwelle liegt höher. Wenn man die Aussage der Politik ernst nähme, dass die Grundsicherung reicht, dann wäre sie ein wirksames Mittel der Armutsbekämpfung, es gäbe also nur in sehr geringem Maße Armut. Ein Problem bei der Beurteilung der Entwicklung der Grundsicherung ist, dass Verbesserungen wie höhere Freibeträge im Kontext der Grundrente zu einem Anstieg der absoluten Zahlen und der Quote führen: Ein großzügigeres System führt zu mehr Berechtigten.

Reicht die Grundsicherung zum Leben?

Sie soll Bedürftige unterstützen. Menschen, deren Einkommen unterhalb der Summe aus Regelbedarf und angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung liegt, haben Anspruch auf Grundsicherung. Für einzelne Einkommensarten gibt es Freibeträge, die nicht voll auf die Grundsicherung angerechnet werden. Zugleich wird immer der Haushalt betrachtet, Partnereinkommen werden angerechnet. Der Regelbedarf für eine alleinstehende Person liegt 2022 bei 449 Euro und wird dank der »Bürgergeld-Reform« zum 1. Januar auf 502 Euro steigen. Ob mit einem Regelbedarf in dieser Höhe das Existenzminimum gesichert ist, ist umstritten. Aus wissenschaftlicher Sicht wird berechtigte Kritik am Berechnungsmodus zur Ermittlung des Existenzminimums geübt.

Was bedeutet die aktuelle Teuerung für Rentner in Grundsicherung?

Grundsätzlich soll der Berechnungsmechanismus der Grundsicherungsleistungen Preissteigerungen berücksichtigen. Das Problem ist, dass das »nachholend« geschieht. Die Bezieher müssen also in Vorkasse gehen. Mit dem Bürgergeld soll die Anpassung der Leistungen schneller erfolgen. Das Grundproblem ist damit allerdings nicht gelöst. Die aktuelle Teuerung trifft Menschen mit relativ geringem Einkommen eher, weil sie einen höheren Teil ihres Einkommens für
Konsumausgaben verwenden.

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