Aufgehübschtes Armutsgesetz

Zum 1. Januar gibt es mit der Einführung des Bürgergelds auch Verschlechterungen für Erwerbslose

Vor allem zur Einführung ist viel gegen Hartz IV protestiert worden. Nach 17 Jahren bekommt die Sozialleistung, die offiziell Arbeitslosengeld II heißt, einen neuen Namen: Bürgergeld.
Vor allem zur Einführung ist viel gegen Hartz IV protestiert worden. Nach 17 Jahren bekommt die Sozialleistung, die offiziell Arbeitslosengeld II heißt, einen neuen Namen: Bürgergeld.

Hartz IV ist ab Sonntag Vergangenheit und wird durch das Bürgergeld abgelöst. Doch außer des neuen Namens ändert sich bei der Grundsicherung nicht viel zum Jahreswechsel.

Der Regelsatz erhöht sich etwas. So erhalten etwa Alleinstehende 53 Euro mehr als bisher, 502 Euro im Monat. Für Kinder unter sechs Jahren steigt der Regelsatz um 33 Euro. Das gleicht gerade einmal so die Preissteigerungen aus, die für Menschen mit niedrigem Einkommen höher liegen als für andere. Sie müssen einen besonders großen Anteil ihres monatlichen Geldes für die stark gestiegenen Lebensmittelpreise und für Haushaltsenergie ausgeben. Die haushaltsspezifische Inflationsrate bei Familien mit niedrigem Einkommen lag im November bei 11,5 Prozent. Das hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung berechnet. Alleinlebende mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 900 Euro hatten eine Infaltionsrate von 11,3 Prozent. Ihr Regelsatz steigt zum 1. Januar mit Einführung des Bürgergelds um 11,8 Prozent. Doch die Verbraucherpreise schießen bereits seit Monaten in die Höhe. Die bisherigen Einmalzahlungen haben kaum für Entlastung gesorgt.

Allein daher kann nicht von einer Erhöhung der Grundsicherung die Rede sein. Immer noch wird vieles aus den Regelsätzen herausgerechnet, sodass wirkliche Teilhabe weiterhin kaum möglich sein wird. Betroffen von dieser weitergeführten Kleinrechnung sind nicht nur Erwerbslose. Auch wer Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder bei Erwerbsunfähigkeit bezieht, wird mit den neuen Regelsätzen kaum zurechtkommen. Ebenso Menschen, die Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Ende 2021 haben rund 6,6 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen der Grundsicherung erhalten. 2023 werden durch die Anhebung mehr Menschen leistungsberechtigt sein. Für all diejenigen reicht das Geld nicht. Das wird auch durch den steigenden Andrang bei den Lebensmittelausgabestellen der Tafeln deutlich. Der Bundesverband gibt an, die Tafeln seien aktuell »geforderter denn je«. Im September 2022 nutzten bundesweit regelmäßig über zwei Millionen armutsbetroffene Menschen die Tafeln. Im Jahr 2019 waren es 1,65 Millionen.

Die für das Bürgergeld verantwortlichen Parteien wissen teils selber, dass auch die neuen Regelsätze nicht ausreichen werden. Doch statt für eine armutsfeste Grundsicherung zu sorgen, werden stattdessen die Tafeln immer stärker öffentlich gefördert. So sind etwa in Mecklenburg-Vorpommern im Nachtragshaushalt für 2023 für die 130 Ausgabestellen der Tafeln je 2500 Euro eingeplant. »Die Tafeln haben sehr viel getan in der Krise für die, die es am schwersten haben«, so der Kommentar von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag. Aber auch andere Bundesländer fördern die Tafeln. »Unsere Bemühungen um staatliche Unterstützung des Landesverbandes Tafel Nordrhein-Westfalen e.V. zum Aufbau der Logistik sind nunmehr erfolgreich gewesen«, freut sich beispielsweise der Landesverband der Tafeln auf seiner Website. Vom Verbraucherschutzministerium NRW gibt es im Rahmen einer Projektförderung insgesamt rund 740 000 Euro.

Die CDU/CSU wiederum hatte zunächst das Bürgergeld im Bundesrat blockiert, weil die Ampelkoalition zunächst vorgesehen hatte, dass die Sanktionen in den ersten Monaten des Bürgergeld-Bezugs etwas abgemildert werden. Wenige Tage nach der Blockade kündigte Markus Söder (CSU) beim Besuch einer Münchner Tafel an, die Förderung der Tafeln auf »eine Rekordsumme« von einer Million Euro zu erhöhen. »Die Tafeln leisten Überragendes! Gerade bei stark steigenden Preisen geben die Tafeln bedürftigen Menschen Hoffnung«, twitterte der Ministerpräsident. Eigentlich finanzieren sich die Tafeln über private und privatwirtschaftliche Spenden. Zwar sind die staatlichen Summen noch vergleichsweise gering. Doch offenbar werden lieber Vereine finanziell unterstützt, die an Menschen in Armut Lebensmittel verteilen, statt für eine Grundsicherung zu sorgen, die Menschen aus der Armut holt.

Außer der minimalen Anpassung der Regelsätze gibt es zum 1. Januar noch eine Änderung für Erwerbslose. Doch entgegen der Ankündigungen der Ampel-Parteien keine positive. Denn das Sanktionsmoratorium läuft aus. Eigentlich sollte dieses bis Juli 2023 gelten. Das Kürzen der Grundsicherung sollte damit weitestgehend ausgesetzt werden. Mit einer Ausnahme: Wer ohne trifftigen Grund nicht zu Terminen im Jobcenter erschien, musste weiterhin mit einer Kürzung des Existenzminimums rechnen. Gerade diese Art der Pflichtverletzung macht etwa vier Fünftel der Sanktionen aus. Aber nun ist es selbst damit vorbei und alle Sanktionen sind wieder möglich.

Ab dem 1. Januar tritt auch die einjährige Karenzzeit in Kraft, in der die tatsächlichen Unterkunftskosten für neue Erwerbslose in voller Höhe vom Jobcenter übernommen werden. Zudem gibt es ab sofort für neue Erwerbslose eine einjährige Wartezeit für das Schonvermögen. Bei Alleinstehenden wird für zwölf Monate darauf verzichtet, ihr Vermögen bis zu 40 000 Euro auf die Grundsicherung anzurechnen, für jedes Haushaltsmitglied kommen 15 000 Euro dazu. Doch selbst das ist eine Verschlechterung zur aktuellen Lage. Denn bis zum 31.12. gilt noch der pandemiebedingt vereinfachte Zugang zur Grundsicherung mit höherem Schonvermögen.

Viele Änderungen sollen jedoch erst in einem halben Jahr, zum 1. Juli, in Kraft treten. Bisher bedeutete Hartz IV, dass Betroffene in Jobs vermittelt werden sollen, egal wie unpassend und prekär diese sind. Hauptsache schnell raus aus der Arbeitslosenstatistik. Beim Bürgergeld soll ab Juli verstärkt auf die Qualifikation der Erwerbslosen sowie auf deren Fähigkeiten geachtet werden. Das Ziel: eine langfristige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Dafür gibt es Weiterbildungsgeld, bei Bedarf kann eine Umschulung in drei statt wie bisher in zwei Jahren nachgeholt werden. Statt der Eingliederungsvereinbarung mit Rechtsfolgebelehrung ist ein Kooperationsplan und im Streitfall ein Schlichtungsverfahren vorgesehen.

Doch all das wird eines nicht ändern: Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, wird auch mit dem Bürgergeld weiterhin in Armut gehalten.

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