Das raffinierte Gift

Bleigießen ist verboten. Doch in der Wirtschaft spielt das Schwermetall weiter eine große Rolle

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Bleischmelze am Mount Isa in Australien
Bleischmelze am Mount Isa in Australien

Bleigießen gehört traditionell zu den beliebtesten Beschäftigungen, wenn zu Silvester die Stunden bis zum neuen Jahr lang zu werden drohen. Es geht zurück auf ein uraltes Wahrsagereibrauchtum. Die bizarren Formen, die entstehen, wenn man erhitztes, geschmolzenes Blei in kaltes Wasser kippt, dienen dabei vermeintlich dem Voraussagen der Zukunft. Das Ritual, bei dem der Aberglaube mehr dem Spaß gewichen ist, wurde auch materiell modernisiert: Seit dem Jahr 2018 ist das Gießen echten Bleis in der EU verboten. Der Gehalt des Schwermetalls, der früher bei mehr als 70 Prozent lag, muss laut einer EU-Verordnung nun unter 0,05 Prozent liegen. Blei und anorganische Bleiverbindungen sind toxisch und werden als krebserzeugend eingestuft.

So weit ist die Wirtschaft noch lange nicht. Hier spielt Blei noch eine gewichtige Rolle. Wichtigster Förderer und Verbraucher des natürlich vorkommenden Minerals ist China. Mit einer Fördermenge von zwei Millionen Tonnen Bleierz im Jahr 2021 entfällt die Hälfte des weltweiten Abbaus auf die Volksrepublik. Es folgen mit großem Abstand Australien und die USA. Die weltweit wohl größte Bleimine liegt im Norden Australiens, in der Region Mount Isa. Hier gibt es zahlreiche Schieferablagerungen, die auch lukrativ hohe Werte von Kupfer, Zink, Silber und Silizium aufweisen. Betrieben wird diese Mine von Glencore, einem der größten Rohstoffhändler der Welt. »Seit Generationen ist Mount Isa ein Ort, an dem Eltern ihre Kinder gerne aufziehen. Es ist und bleibt ein sicherer Ort zum Leben«, schreibt der Konzern in einer Werbebroschüre, die erstaunlicherweise auch auf Deutsch erschienen ist.

Zwischen den Zeilen wird deutlich, wie heikel das Schwermetall ist. Familien sollten »eine Reihe von Vorsorgemaßnahmen« ergreifen: Dazu gehören ein sauberes Zuhause, persönliche Hygiene und eine ausgewogene Ernährung. Der Konzern aus dem schweizerischen Steuerparadies Baar bietet allen Einwohnern von Mount Isa kostenlose Tests zur Kontrolle des Bleigehalts im Blut an. Zwar hat Glencore die Metallemissionen nach eigenen Angaben deutlich gesenkt. Doch Blei bleibt im Boden, in der Luft, im Wasser allgegenwärtig. Im Betrieb gilt daher die Richtlinie »sauber rein, sauber raus«. So müssen Fahrzeuge an speziellen Plätzen gewaschen, schmutzige Arbeitskleidung muss in bestimmten Umkleidebereichen zurückgelassen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Material, das an Menschen und Ausrüstung haftet, das Bergwerksgelände nicht verlässt.

Dem Erzabbau und der Aufbereitung zu einem Bleikonzentrat folgt die Verhüttung. Mit der Methode des Sinterröstens werden die schwefelhaltigen Vorstoffe unter Verbrauch von Sauerstoff in Bleioxide und gasförmiges Schwefeldioxid überführt. Danach wird dieses zu Schwefelsäure weiterverarbeitet, während das Bleioxid im Sinter – einem über 1000 Grad Celsius heißen Ofen – zu Blei reduziert wird. Das »Werkblei« wird schließlich in einem komplizierten Raffinationsprozess von weiteren Metallen gereinigt, bis es einen Reinheitsgrad von 99,9 Prozent und mehr aufweist.

Weltweit werden jährlich 6,7 Millionen Tonnen raffinierten Bleis erzeugt. Die wichtigsten Produzenten sind die Volksrepublik China (1,8 Millionen Tonnen), die Vereinigten Staaten (1,2 Millionen Tonnen) – und Deutschland (400 000 Tonnen). In der Bundesrepublik gewinnt ein gutes Dutzend Firmen raffiniertes Blei aus Erzen und recycelten Batterien. Marktführer sind Grillo und Berzelius.

Das chemische Element mit dem Symbol Pb wird heute vorwiegend als Energiespeicher und Schutzwerkstoff verwendet. Seine hohe Dichte macht das Schwermetall mit der Ordnungszahl 82 besonders geeignet zur Abschirmung: in der Medizintechnik vor Röntgenstrahlung, im Bauwesen als Schallschutz. Seine Beständigkeit gegenüber Säuren macht Blei zudem zu einem wertvollen Werkstoff zur Auskleidung von Rohrleitungen und Apparaten in der chemischen Industrie. Bleioxide werden zur Herstellung von Pigmenten für Farben, Lacke und optische Gläser eingesetzt.

Sein mit weitem Abstand größtes Anwendungsgebiet ist laut Gesamtverband der Deutschen Buntmetallindustrie aber die Energiespeicherung in Akkumulatoren, beispielsweise in Autobatterien, was sich mit dem Auslaufen des Verbrennungsmotors wohl nicht ändern wird. Zwar benötigt der E-Motor keinen Anlasser, aber trotzdem besitzen Elektrofahrzeuge eine 12-Volt-Batterie. Sie dient dazu, die Zentralverriegelung und das Radio mit Strom zu versorgen. Allerdings werde dieser Akku künftig kleiner ausgeführt, da er nicht mehr den Verbrennungsmotor starten müsse, erwartet das Fachmagazin »Kfz-Betrieb«.

Alternativlos ist dies nicht. Bei Motorrädern sind solche Akkus, die nur rund ein Kilogramm statt fünf wiegen, als Stromversorger bereits etabliert. Die Hersteller von Starterbatterien setzen freilich trotz der Toxizität weiter auf die herkömmlichen Blei-Säure-Akkus, denn diese sind preisgünstiger und zu 100 Prozent recyclingfähig. Der praktizierte Aberglaube zu Silvester ist hier deutlich weiter.

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