Die Sache mit der Sorgfaltspflicht

Große Unternehmen müssen seit Jahresbeginn Sozial- und Umweltstandards ihrer Zulieferer kontrollieren

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Weltweit arbeiten 1,4 Milliarden Menschen »unter menschenunwürdigen Bedingungen«, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Laut dem SPD-Politiker steigt zudem die Zahl der Opfer von Zwangsarbeit und Sklaverei. Ebenso würden weltweit immer mehr Kinder zur Arbeit gezwungen – in den Goldminen von Burkina Faso, als Textilarbeiter in Bangladesch oder auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste. Auf rund 160 Millionen schätzt das Ministerium in Berlin die Zahl der arbeitenden Kinder, die Hälfte sei jünger als zwölf Jahre. Doch mit dem neuen Lieferkettengesetz führe nun kein Weg mehr an Menschenrechten und Umweltschutz vorbei, lässt sich Heil in einer Pressemitteilung zitieren. Egal, wo auf der Welt Unternehmen mit Sitz in Deutschland produzieren lassen.

Das Gesetz mit dem sperrigen Namen »Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz« ist am 1. Januar in Kraft getreten. Damit werden laut Bundeswirtschaftsministerium »zum ersten Mal« unternehmerische Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt umfassend gesetzlich geregelt. Konzerne müssen nun ein wirksames Risikomanagement einrichten. Dies gilt zunächst für etwa 900 große Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten, ab dem Jahr 2024 dann auch für weitere 4000 Firmen ab 1000 Beschäftigten.

Wirtschaftsverbände zeigen sich wenig begeistert. Menschenrechte einhalten und Kinderarbeit verhindern – diese beiden zentralen Grundsätze des Lieferkettengesetzes werden beispielsweise von den Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus nach eigenen Angaben zwar »uneingeschränkt unterstützt«. Doch das neue Gesetz gehe weit darüber hinaus: »Unsere Firmen sollen unter anderem auch dafür verantwortlich sein, dass rund um den Globus die europäischen Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden, sonst werden sie bestraft«, klagt der Präsident des Branchenverbandes VDMA, Karl Haeusgen. Das sei völlig unrealistisch.

Das Gesetz ist zu einem »Bürokratie-Monster« geworden, kritisiert Holger Görg, Präsident des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Tatsächlich: Unternehmen müssen sich durch einen 437 Fragen umfassenden Katalog des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn quälen. Ähnlich wie bei der Geldwäsche-Prävention oder Planungs- und Genehmigungsprozessen verschwindet die an sich einfache Grundidee in einem Wust aus Regularien, die von Konzernen geleistet werden können, aber Mittelständler überfordern dürften.

Aus wirtschaftsethischer Sicht tragen Unternehmen hierzulande in einem gewissen Maß Verantwortung auch für die Einhaltung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards in Zulieferfirmen. Die im eigenen Unternehmen geltende Sorgfaltspflicht überträgt sich bei Auslagerung der Produktion auf den Geschäftspartner. »Durch Kooperation mit den Zulieferern können diese Standards – falls nötig – verbessert werden«, zeigt sich IfW-Ökonom Görg überzeugt. Vertrauen verbessere Qualität und Effizienz. Und ein Label »Made with Sorgfalt« könne global operierenden Zulieferern sogar zu einem Wettbewerbsvorteil gereichen.

Dem breiten Bündnis »Initiative Lieferkettengesetz« greift das bundesdeutsche Gesetz freilich nicht tief genug in die Geschäftsbeziehungen hiesiger Unternehmen ein. Im Zentrum stehe lediglich das Verhältnis zu direkten Vertragspartnern, aber etwa in der Textilindustrie entstünden 85 Prozent der Umweltschäden bereits zu Beginn der Produktion, kritisieren die Nichtregierungsorganisationen. Ein wirksames Lieferkettengesetz müsste bereits ab der ersten Faser greifen. Auch mögliche Sanktionen seien zu schwach, es fehlten Kontrollen und zivilrechtliche Haftungsregelungen.

Immerhin drohen Geldbußen bei Verstößen bis zu zwei Prozent des globalen Umsatzes und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Und Unternehmen müssen sich zukünftig zumindest kümmern – Erfolg haben müssen sie jedoch nicht. Was auch schwierig wäre, schon aufgrund der Länge der Lieferketten. Der Stuttgarter Maschinenbauer Dürr etwa, ein Konzern mit 18 000 Beschäftigten und 120 Standorten weltweit, arbeitet nach Firmenangaben mit 35 000 Zulieferern zusammen, häufig indirekt über mehrere Stufen. In Indien oder Bangladesch produzieren zudem die allermeisten Firmen in der informellen Wirtschaft.

Kritiker, denen die Regelungen zu schwach sind, setzen indes Hoffnungen auf die Europäische Union. Auch sie will Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten verpflichten. Offen ist jedoch, wie wirksam das EU-Lieferkettengesetz letztlich ausfallen wird. Der zuständige EU-Ministerrat hat sich im Dezember in Brüssel auf eine Position geeinigt, die zwar über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht, aber dennoch Schlupflöcher offenlässt. Wirksam wird das geplante Lieferkettengesetz vor allem dann, wenn Betroffene eine realistische Chance erhalten, in der EU zivilrechtlich Schadensersatz von den Verantwortlichen einzuklagen. Ob dieser Knackpunkt gegen die Unternehmenslobby letztlich durchzusetzen ist, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

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