Kein Nachtasyl für Studierende

24-Stunden-Bibliotheken sind unnötig, findet Marten Brehmer

Lieber die ganze Nacht Elektrotechnik büffeln statt zu Electro die Nacht durchtanzen? Die CDU möchte das möglich machen. Die Grimm-Bibliothek der Humboldt-Universität soll durchgehend geöffnet werden. Auch in der Nacht sollen die Lesesäle offenstehen. In der Stadt, die nie schläft, würde das gut ins Bild passen.

Verabreden sich Studierende in der Prüfungsphase dann bald zum Lernexzess in Mitte statt zu Trinkabenden in Kreuzberger Kaschemmen? Wohl eher nicht. Erfahrungen in anderen Städten haben gezeigt, dass nur wenige Studierende sich die Nacht mit Systemtheorie oder Topologie um die Ohren schlagen wollen. Die Universität Freiburg musste ein entsprechendes Experiment 2018 beenden, weil sich in den Nachtstunden meist mehr Personal als Studierende in der Bib aufhielt. Nur in Karlsruhe – wo ein offenbar besonders nachtaktiver Menschenschlag zu Hause ist – existiert eine öffentliche Universitätsbibliothek, die durchgehend geöffnet ist. 

Für alle anderen Unis ist die All-Night-Bib schlicht zu teuer. Angesichts klammer Kassen der Berliner Universitäten würden Kosten und Nutzen hier wohl kaum übereinkommen. Der Bevölkerung wäre auch nur schwer zu vermitteln, warum in Anbetracht der Energiearmut eine riesige Bibliothek die ganze Nacht über geheizt und hell beleuchtet werden müsste. Eine bessere Alternative gibt es ohnehin: Könnte man auf Strafrechtswälzer und Fachzeitschriften auch vom heimischen Computer aus zugreifen, wäre nächtliches Lernen von zu Hause aus möglich – solange nicht Mitbewohner die Ruhe mit Partys stören.

Die CDU schießt also übers Ziel hinaus. Einen wunden Punkt trifft sie trotzdem: In der Energiekrise haben die Universitäten die Öffnungszeiten der Bibliotheken teils deutlich eingeschränkt. Die Universitätsbibliothek an der FU ist beispielsweise nur noch bis 18 Uhr geöffnet. Wer bis dahin Vorlesungen hat oder arbeiten muss, schaut in die Röhre. Trotz hoher Energie- und Personalkosten: Bis Mitternacht sollte das Lernen möglich sein. Vorher öffnen die Clubs eh nicht.

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