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Feuer an queerem Zentrum in Cottbus: Ein Brandloch bleibt
Feuer an queerem Zentrum in Cottbus – Anschlag vermutet
Christian Müller ist gerade auf einer Sitzung, die den Christopher Street Day (CSD) am Wochenende vorbereiten soll, als plötzlich eine Kollegin ins Zimmer gestürmt kommt. »Es brennt im Hof!«, ruft sie. Im Innenhof des Kulturzentrums »Bunte Welt« steht ein Papiercontainer in Flammen, das Feuer touchiert die Wand des Gebäudes. »Die Kollegin hat glücklicherweise geistesgegenwärtig einen Feuerlöscher aus dem Büro mitgenommen«, sagt Müller heute über die Geschehnisse am Montagnachmittag. Während sie beginnt, das Feuer zu löschen, sind im Hintergrund schon Sirenen zu hören, Feuerwehr und Polizei erreichen das Kulturzentrum kurz darauf.
»Das kann kein Zufall gewesen sein«, sagt Müller über den Brand. Er vermutet einen Brandanschlag hinter der brennenden Mülltonne. In dem Kulturzentrum in Cottbus hat neben unpolitischen Sportangeboten auch das Regenbogenkombinat seinen Sitz, eine Gemeinschaftseinrichtung des örtlichen CSD und der Aids-Hilfe. Müller engagiert sich bei beiden Organisationen. In dem Gebäude, das von der Stadt Cottbus gemietet wird, finden Beratungen und politische Treffen aus dem Umfeld der LGBTQ-Szene statt.
Die Papiertonne stand im Hinterhof des Gebäudes, was aus Müllers Sicht gegen eine Zufallstat oder reinen Vandalismus spricht. Und: »Wir wurden in der Vergangenheit immer wieder Opfer von Angriffen«, sagt Müller. An der Eingangstreppe aufgehängte Regenbogen-Banner wurden mehrfach abgerissen, einmal sei eine Regenbogenfahne mit einem Hakenkreuz übermalt worden. Im vergangenen Jahr erkannte eine Gruppe Jugendlicher in der Innenstadt Sticker auf dem Rucksack eines Mitarbeiters, sie drohten diesem mit Gewalt. Im Vorlauf des Christopher Street Days organisiere man in dieser Woche mehrere Veranstaltungen im Regenbogenkombinat. »Unter den Posts dazu sehen wir in den sozialen Medien viel Hass«, sagt Müller.
Heute klafft an der Fassade des Regenbogenkombinats ein Brandloch. Die Feuerwehr musste einen Teil der Außendämmung entfernen, um eine weitere Brandentwicklung zu verhindern. Wie hoch der Schaden ist, kann Müller noch nicht abschätzen.
»Inzwischen verschiebt sich die Stimmung.«
Christian Müller Regenbogenkominat
Gegenüber »nd« bestätigt ein Sprecher der Polizei, dass Ermittlungen laufen. Ein Kriminaltechniker sei vor Ort gewesen. Momentan sei die Brandursache noch unklar, man ermittele »in alle Richtungen«. Aufgrund eines möglichen politischen Hintergrunds wurde der Staatsschutz eingeschaltet. Auch die Polizei will keine Angaben zur Schadenshöhe machen.
Das Regenbogenkombinat besteht seit zehn Jahren. Neben Beratungen bietet es auch Bildungsarbeit zu sexueller Gesundheit und anderen Themen an. Auch ein Sprachcafé für Flüchtlinge gibt es im Gebäude. Bislang habe man in Cottbus viele positive Erfahrungen gemacht, berichtet Müller. »Aber inzwischen verschiebt sich die Stimmung.« Die Arbeit des Regenbogenkombinats werde immer offener angefeindet. »Der Sprech ist rauer geworden«, sagt Müller.
Die AfD, die in der Stadtverordnetenversammlung die stärkste Fraktion stellt, zweifele die Förderung für das Projekt an, so Müller. Zuletzt erreichte die rechtsextreme Partei, dass die Regenbogenfahne nicht mehr vorm Stadthaus geflaggt wird, in dem die Stadtverordnetenversammlung ihren Sitz hat, sondern nur noch vor der Stadthalle. »Man hat sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner mit den Antidemokraten einigen müssen«, beklagt Müller.
Es gebe aber auch Solidarität: Im Vorfeld des Christopher Street Days hatte das Regenbogenkombinat dafür geworben, die Regenbogenfahne in Schaufenster zu stellen. 300 Geschäfte und Organisationen schlossen sich der Aktion an.
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Auf den Christopher Street Day am Samstag blickt Müller mit gemischten Gefühlen. Erstmals wurde eine Gegendemonstration von rechten Gruppen zum CSD angekündigt, 1100 Teilnehmer sind angemeldet. Die Gegendemo soll abseits des CSD-Zuges stattfinden, doch Müller befürchtet, dass es zu Störungen durch Kleingruppen von Gegendemonstranten kommen könnte. »Wir mussten die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen«, sagt er. Man habe einen Sicherheitsdienst engagiert. Für auswärtige Gäste soll es einen Shuttle-Service von der Abschlusskundgebung zum Hauptbahnhof geben.
Sorgen macht sich Müller aber auch aus ganz anderen Gründen. »Das wird der größte CSD, den Cottbus je gesehen hat«, glaubt er. Seit dem Brand hätten das Regenbogenkombinat zahllose Solidaritätsbekundungen erreicht. Viele Menschen hätten spontan erklärt, am Samstag erscheinen zu wollen. Das stelle die Organisatoren vor logistische Herausforderungen: »Das ist ein ganz neues Level«, sagt Müller halb erfreut und halb respektvoll.
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