Ungewisses Selbstbestimmungsrecht

Justizminister kündigt Verzögerungen bei der Reform des Transsexuellengesetzes an – und inhaltliche Einschränkungen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Selbstbestimmungsgesetz für trans-, inter und nicht-binäre Personen könnte sich noch weiter verzögern als bisher angenommen. »Wir haben wahrgenommen, dass es Sorgen gibt, die sich auf die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels beziehen«, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) in einem Interview mit »Zeit Online« vom Freitag. Ursprünglich sollte der Gesetzesentwurf bereits im Sommer 2022 vom Kabinett verabschiedet werden. Buschmann ließ nun durchblicken, dass es sich bei Unstimmigkeiten in der Ressortabstimmung durchaus noch über den Sommer 2023 hinaus verzögern könnte.

Doch auch inhaltlich sorgten seine Äußerungen bei Betroffenen für Enttäuschung: Bei der Gesetzesreform gehe es in erster Linie »um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat – um die Änderung eines Eintrags in einem staatlichen Register«, sagte er. Auch künftig solle etwa eine Frauensauna nach der »äußeren Erscheinung« gehen und trans Frauen vom Besuch ausschließen können, ohne eine Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu riskieren. Das würde bedeuten, dass trans Personen ihren Personenstand zwar einfacher ändern könnten, dies aber nicht die erhofften rechtlichen Konsequenzen hätte. Ein Justizminister der FDP, der bestimmte Personengruppen vom Rechtsschutz ausnehmen will, das klingt erst einmal abenteuerlich. »Wir werden klarstellen, was das bedeutet«, sagte er zu seinen Einschränkungen.

»Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, dass ein Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung abbaut und nicht neue aufbaut«, schrieb der grüne Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, dazu auf Twitter. Die Linke bezeichnete die Äußerungen des Justizministers als »Schlag ins Gesicht« für Betroffene. »Für nicht wenige Menschen hat das Selbstbestimmungsgesetz einen entscheidenden Anteil an der Planung ihrer weiteren Lebensgestaltung«, erklärten Jenny Luca Renner und Frank Laubenburg, Sprecher*innen der Bundesarbeitsgemeinschaft Queer der Partei. Noch schlimmer seien Überlegungen, bei denen die äußere Erscheinung eines Menschen Hausverbote in privaten Einrichtungen ermöglichen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ausheben könnte. »Im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes darf es keine Regelungen geben, die Diskriminierung von trans Personen schützt oder sogar explizit erlaubt«, so die Sprecher*innen.

Die nd-Autorin und Aktivistin Felicia Ewert schrieb dazu: »Es geht um die Regulierung und Verunmöglichung der Existenz queerer Menschen in der Öffentlichkeit. Und allen Menschen, die als ›nicht geschlechtskonform‹ eingestuft werden.« Begrüßt wurden die Ausführungen des Ministers von sogenannten trans-exkludierenden Feminist*innen.

Nach dem aktuellen Transsexuellengesetz müssen trans Personen für eine Personenstandsänderung ein Gerichtsverfahren durchlaufen, in dem sie zwei Sachverständigengutachten vorlegen müssen, um ihre Geschlechtsidentität zu bestätigen. Diese Verfahren sind langwierig, teuer und gehen mit intimen und diskriminierenden Befragungen einher. Mehrere Regelungen des Transsexuellengesetzes wurden durch das Bundesverfassungsgericht gekippt: Früher mussten trans Personen sich sterilisieren lassen, sich scheiden lassen und zwangsweise geschlechtsangleichende Operationen durchführen lassen, um ihren Personenstand ändern zu können.

Die von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im vergangenen Sommer vorgelegten Eckpunkte sehen vor, dass volljährige Menschen künftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt die Änderung ihres Geschlechtseintrages sowie ihrer Vornamen vornehmen lassen können. Argentinien war 2012 das erste Land, das eine Änderung des Geschlechtseintrags per Selbstauskunft ermöglichte.

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