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Lula will lückenlose Aufklärung
Die Suche nach den Drahtziehern des Sturms auf Brasiliens Regierungsviertel läuft an
Solche Bilder wie am Sonntag habe Heloá Potyguara – 63 Jahre, blond gefärbte Haare, Trikot des Fußballclubs Vasco da Gama – nie zuvor gesehen. »Es war eine große Bedrohung für unser Land«, sagt sie. »Unsere Demokratie ist aber stärker.«
Potyguara steht auf dem Cinelândia-Platz im Zentrum Rio de Janeiros. Einige Tausend Demonstranten haben sich zwischen dem hell angestrahlten Gebäude des Stadtrates und dem altehrwürdigen Stadttheater eingefunden. Immer wieder schallt es »Keine Amnestie, keine Amnestie« über den Platz. Viele sind wütend. Denn am Sonntag erlebte Brasilien eine der dunkelsten Stunden seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985.
Tausende Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro hatten das Regierungsviertel gestürmt. Einige Hundert drangen in das Kongressgebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast ein. Sie legten Feuer, zerstörten Kunstwerke, urinierten in Büros und prügelten auf Journalistinnen und Journalisten ein. Es entstand ein erheblicher Sachschaden, wie Videos und Fotos in den sozialen Medien zeigen.
Am 30. Oktober hatte Bolsonaro die Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva verloren. Seit der Niederlage demonstrieren die Anhänger Bolsonaros gegen die Wahlergebnisse. Viele glauben, die Wahl sei »gestohlen« worden – obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte gibt. Am Neujahrstag war Lula feierlich in Brasília vereidigt worden, Hunderttausende bejubelten den Regierungswechsel.
Besonders in der Kritik stehen Teile der Sicherheitskräfte. Einige paktierten mit den Demonstrierenden, ließen sie in das Regierungsviertel vordringen und posierten sogar gut gelaunt mit rechten Fanatikern. Dennoch gelang es noch am Sonntagabend, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Am Montagabend erklärte Justizminister Flávio Dino: »Wir glauben, dass das Schlimmste vorbei ist.«
Fast alle politischen Kräfte Brasiliens verurteilten die Angriffe scharf. In den brasilianischen Medien werden die Angreifer als »Terroristen« bezeichnet. Regierungsvertreter versprachen eine lückenlose Aufklärung und fordern eine harte Bestrafung für die Eindringlinge.
Am Montagmorgen ordnete Verfassungsrichter Alexandre de Moraes an, Protestcamps von Bolsonaro-Anhängern räumen zu lassen. Rund 1200 Bolsonaro-Fans wurden in Brasília festgenommen und in ein Gebäude der Bundespolizei gebracht, wo sie sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen mussten. Die Beschuldigten könnten unter anderem wegen terroristischer Aktivitäten und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden.
Justizminister Dino erklärte, auch die Hintermänner für die Putsch-Proteste finden zu wollen. Laut Dino wurden bereits in zehn Bundesstaaten Auftraggeber ermittelt, die die Gewaltakte finanziert haben sollen. »Die entschiedene Reaktion unseres Justizministers war in dieser angespannten Situation extrem wichtig«, sagte Elika Takimoto, Abgeordnete von Lulas Arbeiterpartei PT im Bundesstaat Rio de Janeiro, dem »nd«.
Auch Internetnutzer wollen bei der Aufklärung helfen. In den sozialen Medien legten sie Profile an, wo sie Fotos von Eindringlingen posteten, um so Tatbeteiligte ausfindig zu machen. Brasiliens Präsident Lula traf sich am Montagabend mit den 27 Gouverneuren der Bundesstaaten und erklärte: »Sie wollen einen Putsch, aber es wird keinen Putsch geben.« Nach dem Treffen liefen Lula und die Gouverneure händehaltend zum Obersten Gerichtshof und besichtigten den zerstörten Plenarsaal.
Ex-Präsident Bolsonaro hatte sich bereits am 30. Dezember in die USA abgesetzt, offenbar aus Angst vor einer Strafverfolgung wegen seiner Corona-Politik. Er nahm – entgegen den Gepflogenheiten – nicht an der Amtsübergabe Lulas teil. Mehrere US-amerikanische Abgeordnete wollen nun versuchen, ihn aus dem Land ausweisen zu lassen. Ende Januar dürfte sein Visum auslaufen.
Am Sonntag kritisierte Bolsonaro bei Twitter zwar die Angriffe seiner Unterstützer, allerdings machen ihn viele für die Gewalt mitverantwortlich. Während seiner Amtszeit attackierte er immer wieder die demokratischen Institutionen, beschimpfte Journalisten und verherrlichte die Verbrechen der Militärdiktatur.
Heloá Potyguara, die linke Demonstrantin aus Rio de Janeiro, will weiterhin auf die Straße gehen, um gegen die Putschgebaren zu protestieren: »Wir dürfen jetzt nicht einknicken, es sind wichtige Tage für
unsere Demokratie.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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