Das Luftschloss einer politischen Großrazzia

Österreichs Bundeskanzler ließ 2020 als Innenminister gegen Islamisten ermitteln

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass im sonst eher beschaulichen Österreich Hunderte schwer bewaffnete Sonderkräfte der Polizei ausrücken, um Liegenschaften zu durchsuchen und Personen festzunehmen. Der 9. November 2020 war ein solcher Tag. Allerdings: Zwei Jahre danach erweist sich das Gebilde an Vorwürfen als nicht mehr als eine populistische Kaugummi-Blase. Eine, die für Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) durchaus zum Problem werden könnte. Denn er war damals im November 2020 Innenminister und zeichnet als solcher verantwortlich für die Großrazzia, die als »Aktion Luxor« bekannt wurde.

Die Basis für die großangelegte Fahndung: Ein 200 Seiten starker Befehl. Das Ziel: Ein angebliches Netzwerk von Muslimbrüdern und Hamas, hauptsächlich in Wien, Salzburg und Graz. Die Vorwürfe wogen schwer: Terrorfinanzierung wurde den Verdächtigen ebenso vorgeworfen wie Rekrutierung sowie die Unterwanderung von staatlichen Strukturen. Angeblich, so die damalige Sprecherin, hätte das Netzwerk die Errichtung eines islamischen Staates in Europa zum Ziel gehabt. Der Hauptverdächtige: Der bekannte österreichische Politologe Farid Hafez.

Weder Anklagen noch Verurteilungen

Zwei Jahre später ist von all diesen Vorwürfen so gut wie nichts mehr übrig. Diese Woche wurde das Ermittlungsverfahren gegen Farid Hafez eingestellt – so wie bereits die Ermittlungen gegen 31 andere Verdächtige beendet wurden. Es gibt weder Anklagen noch Verurteilungen, sondern nur die umfassende Feststellung der ermittelnden Staatsanwaltschaft sowie des zuständigen Oberlandesgerichts Graz, dass die Anschuldigungen auf Gerüchten, Mutmaßungen, vagen Einschätzungen, nicht verifizierbaren Quellen sowie Annahmen oder »Hörensagen« basierten. Wörtlich heißt es nun seitens des Oberlandesgerichts: Es handle sich um »eine Ansammlung von bloßen Andeutungen, deren Richtigkeit mangels aussagekräftiger Kontrolltatsachen nicht überprüfbar ist …«

Bereits im Sommer 2021 hatte das Oberlandesgericht Graz festgestellt, dass die Razzien zumindest zum Teil rechtswidrig waren. Laute Zweifel an der Aktion hatte es bereits am Tag der Razzia selbst gegeben. Der Grund dafür war vor allem der Zeitpunkt der Aktion. Eine Woche zuvor hatte ein islamistischer Attentäter in Wien um sich geschossen. Vier Menschen starben. Es war der erste und bisher einzige derartige Anschlag in Österreich.

Vor allem aber entblößten die Ermittlungen zu der Tat bereits binnen Stunden haarsträubende Ermittlungspannen. So wurden die österreichischen Stellen bereits im Sommer 2020 von ausländischen Geheimdiensten gewarnt, dass der spätere Attentäter in einschlägigen internationalen Netzwerken verkehre und versuche, Munition zu beschaffen. Und schließlich wurde mehr und mehr klar, dass sich der Attentäter praktisch unter den Augen der Behörden bewaffnet hatte – und das keinesfalls gerissen und trickreich.

Vorgegangen war der junge Mann in etwa so konspirativ und unauffällig wie ein rosaroter blinder Elefant in einem Porzellanladen: 2018 hatte er versucht, nach Afghanistan auszureisen – allerdings ohne Visum und hatte daher unter Beobachtung der Behörden gestanden. Den Plan, sich Munition für ein automatisches Gewehr zu besorgen, ging er direkt an: Er fuhr zusammen mit einem unter Beobachtung der deutschen Behörden stehenden bekannten Islamisten nach Bratislava, ging in ein Waffengeschäft und fragte nach Munition für ein automatisches Gewehr.

ÖVP im Kampf gegen »politischen Islam«

Innenminister Nehammer stand damals unter massivem Beschuss. Kritik an seinem Ressort konterte er mit Kritik am Justizressort und seinem Vorgänger Herbert Kickl (heute Chef der FPÖ). Retten konnte sich der Minister letztlich nur durch eine bereits zuvor vielfach geforderte Reform des Geheimdienstes. Denn letztlich war die Verhinderung der Tat an Personalmangel, Desinteresse und Kommunikationsfehlern und Misstrauen zwischen Dienststellen gescheitert. Die Aktion Luxor war eine medial inszenierte Aktion: Nehammer mit finsterem Blick nächtens auf der Straße inmitten von Sondereinsatzkräften, begleitet von kämpferischer Rhetorik. Damals entdeckte die noch von Sebastian Kurz geführte ÖVP den Kampf gegen den »politischen Islam« für sich – und Nehammer, heute Kanzler, war einer der Wortführer.

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