Angriff auf die »Reihenhaussiedlung«

Ungewohnt schnell hat die Polizei die Kontrolle in Lützerath übernommen. Das gilt jedoch nur für alles, was nicht auf den Bäumen ist

Einsatzerfahrene Polizeibeamte freuten sich am Tag 1 der Räumung in Lützerath: Hier erreichten sie in kurzer Fortschritte, wie sie gegen die Besetzer des Hambacher Forst nicht denkbar waren. Das war im Herbst 2018, bevor die Gerichte die Räumung als rechtswidrig einstuften, die NRW-Landesregierung aber schon ihre Truppen losgeschickt hatte.

Hier in Lützerath hat die Polizei schon am Mittwochmorgen die komplette Kontrolle über alles, was nicht auf den Bäumen ist. Aber in diesem Fall kommen nach den Mühen der Ebene die Mühen der Höhenluft: Nun muss die Polizei die Kletterer und ihre rund 40 Baumhäuser abräumen, eins nach dem anderen, und darauf haben sich Aktivisten gut vorbereitet. Keiner der Beamten will deshalb spekulieren, wie lange das noch dauern wird.

Auch was die Polizei in den besetzten Häusern des Weilers erwartet, weiß sie am Donnerstagmorgen nicht. Niemand kann abschätzen, wieviele Menschen sich in Lützerath befinden. In einer Pressekonferenz am Morgen im Erkelenzer Ortsteil Kreyenberg sprechen Fridays-for-Future-Aktivisten vorsichtig von 300 Menschen. Ob das stimmt, lässt sich schwer überprüfen, denn auch in der Nacht hat die Polizei die Räumung fortgesetzt. Luisa Neubauer kritisiert dies auf der Pressekonferenz als gefährlich und unverständlich.

Besonnenes Vorgehen, das die Sicherheit aller Beteiligten an die erste Stelle setzt, hatte der verantwortliche Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach vor der Räumung versprochen. Davon gab es jedoch schon am Mittwoch an vielen Stellen keine Spur. Sitzblockaden wurden mit Schmerzgriffen gegen die Protestierenden geräumt, Demo-Sanitäter aus dem Ort hinausgeworfen, Pressevertreter drangsaliert oder sogar gezwungen, Aufnahmen zu löschen.

Momo ist deshalb von der »Gewalt und Schlagkraft« der Polizei in Lützerath negativ beeindruckt. Der erfahrene Aktivist hat sich für eine Pause an einer bereits geräumten Mahnwache niedergelassen. Die Polizei hat dort ganze Arbeit geleistet und die Infrastruktur nach ihrem Durchmarsch sofort zerstört. Fahnen flattern jetzt zerfetzt im Wind, Pavillons haben keine Dächer mehr.

»Aber es steht noch eine Kanne Kaffee da«, sagt Hajo Barnewitz, der bis zur Räumung das Gesicht dieser Mahnwache gewesen war. Sein Heißgetränk, das er den nach Lützerath kommenden Menschen freundlich anbot, erlangte während der Besetzung den gleichen Kultstatus wie sein unerschöpfliches Wissen über die Tiere vor Ort. Zur Räumung hat er daher auch sein Eisbärkostüm angezogen.

Von der »Bussi« getauften Bushaltestelle von Lützerath ist ebenfalls nicht mehr viel übrig. Dort war schon am Mittwoch ein Harvester am Werk. Von grellen Scheinwerfern beleuchtet, zerstörte die Baumerntemaschine im Minutentakt Ahornbäume, Buchen, eine alte Lärche. Dann ging es den Bäumen an den Kragen, die der Eibenkapelle ihren Namen gegeben haben. Ohne das schützende Dach der Zweige flattert hier ein Banner im Wind, das im Sommer den »Kreuzweg für die Schöpfung« vom niedersächsischen Gorleben nach Lützerath begleitet hatte. Hartnäckig brennt eine letzte Kerze auf dem kleinen umfriedeten Grundstück, das immer noch der katholischen Kirche gehört. Die hat es RWE aber in einem »Nutzungsvertrag« überlassen, obwohl die »Nutzung« in seiner Zerstörung besteht.

Die christlichen Aktivisten, die sich hier räumen lassen mussten, fühlen sich verraten. Ein Wort, das in diesen Tagen in Lützerath häufig zu hören ist. Auch Momo bezeichnet die Preisgabe des Braunkohleortes als »Verrat der Grünen an der eigenen Bewegung, um sich ein realpolitisches Profil zu geben«. Zum Glück gebe es an der grünen Basis Leute die für konsequenten Klimaschutz kämpfen wollen. »Aber für Lützerath kommt das auf jeden Fall zu spät.«

»Mit unseren Körpern verzögern wir die Räumung von RWE und Polizei«, erklärt eine Sprecherin zu den Gründen der Besetzung gegenüber »nd«. Unter Lützerath befänden sich 280 Millionen Tonnen Kohle, die im Boden bleiben müssten. »Unglaublich viele Menschen sterben in Klimakatastrophen oder verlieren ihr Zuhause.« Am häufigsten betreffe dies Menschen im globalen Süden, die ohnehin über wenig Entscheidungsmacht verfügten. Diesen Ungerechtigkeiten wollen die Aktivisten in Lützerath eine andere Lebensweise entgegensetzen. »Unabhängig vom Geldbeutel finden die Menschen hier Schlafplatz und Essen«, so die Sprecherin.

Von diesen solidarischen Strukturen ist jedoch nichts mehr übrig. Vor der geräumten »Küche für alle« liegt ein großer Berg geschnippeltes, vermischtes Gemüse auf dem Boden. Es riecht nach Zwiebeln, Essig und Möhren – das eigentlich am Mittwoch geplante Abendessen für mehrere Hundert Besetzer im Camp. Daneben steht ein früherer Anwohner, der dem Druck von RWE nachgab und umsiedelte, aber immer noch voller Groll ist. Er beobachtet das Geschehen mit unverhohlener Wut: »Das muss man sich anschauen, was sie hier aufgefahren haben. Ins Ahrtal haben sie eine ganze Woche lang nicht einen Polizisten hingekriegt.«

»Immer wieder machen sie Fehler«, beklagt auch der Eisbär Barnewitz die Gewalt der Polizei. »Ich muss immer öfter an Steffen Meyn denken.« Der 27-jährige Journalist war bei der Räumung des Hambacher Forsts ums Leben gekommen, als er den polizeilichen Einsatz einer Hebebühne an einem Baumhaus gefilmt hatte. Aus 15 Metern Höhe stürzte er von einer Hängebrücke, die Aktivisten als Traverse bezeichnen. Meyns Mutter war noch am vergangenen Samstag beim Dorfspaziergang in Lützerath gewesen und zeigte sich entsetzt darüber, mit welchem Aufwand an Menschen und Material auch die Räumung hier vorbereitet wurde.

Trotz des Einzugs der Polizeihundertschaften am Mittwoch ertönten von den Baumhäusern und aus dem Hüttendorf am Nachmittag noch Gesang und Gelächter, es wurde gehämmert und gesägt. Ein Trupp Polizisten stand dabei untätig auf der Straße. »Mögen euch beim Händewaschen die Ärmel herunterrutschen«, tönt es ihnen von einem Baum entgegen, und einer der Beamten muss lachen. »Okay, der war gut«, sagt zu.

Einen Tag später fährt auch hier die Polizei mit Hebebühnen durch die Barrikaden unter die Baumhäuser, die die Aktivisten Reihenhaussiedlung nennen. Überall lärmen Motorsägen und Bagger. Einige Aktivisten haben sich zwischen die Bäume gehängt, andere schicken Livestreams, während sie die Polizeimaßnahmen von oben beobachten. Obwohl es gefährlich ist, wollen sie bleiben. Der Regen, der nach einer Pause am Mittwoch wieder einsetzt, schlägt auf die Stimmung.

Während am Donnerstagvormittag eine Demonstration mit mehreren Hundert Menschen von Kreyenberg in Richtung Lützerath zieht, wird dort im Hüttendorf die aus mehreren Einheiten bestehende »Burg« geräumt und zerstört. Anschließend geht es gegen das Baumhaus »Tilly Turtle«; in der Nähe werden Aktivisten abgeräumt, die sich auf hohen Gestellen, so genannten Mono- und Bipods, verschanzt haben.

Rundherum fallen Bäume, um Platz für das schwere Gerät von Polizei und RWE zu machen. Dafür ist nicht die Polizei verantwortlich, denn der Energiekonzern hat hier das Hausrecht. Ein Baumpfleger unter den Aktivisten kritisiert die Fällungen, denn so sind auch die verbliebenen Baumhäuser dem am Donnerstag stürmischen Wind ausgesetzt und die Besetzer damit gefährdet.

Gegen Mittag zerstört die Polizei eine Brücke aus den Bäumen zur »Paula«, einem besetzten Wohnhaus, das mit seiner Regenbogenfassade zu einem Symbol geworden ist. Wie lange wird die Räumung hier wohl noch hinauszuzögern sein? Polizisten dringen in das Erdgeschoss von »Eckarts Scheune« nebenan ein und brechen Türen auf, an denen sich Menschen festgeklebt haben.

»Cops richten Schaden an, wo sie nur hinkommen«, twittert der »Aktionsticker« aus Lützerath. »Auch die Unräumbar wird geräumt — halt, ist das überhaupt möglich?«, heißt es dort. »Nein! Menschen sind aufs Dach geklettert und Cops haben vorerst aufgegeben«, antworten sich die Aktivisten selbst.

Am frühen Nachmittag kommt Bewegung in die apokalyptische Szenerie mit dunklen Wolken über dem freien Feld vor Lützerath, um das RWE mittlerweile eine Doppelreihe von Bauzäunen gezogen hat. Aus der Demonstration brechen Kleingruppen in Richtung des Braunkohleortes aus, auf Zufahrtsstraßen dorthin umgehen die Teilnehmer Polizeiketten und beginnen Sitzblockaden. Trotz Gegenwind hantieren die Beamten mit Pfefferspray, können die Demonstrierenden aber schließlich stoppen.

Im Ort werden die »Paula« und die »Reihenhaussiedlung« weiter belagert. Die Aktivisten oben in den Bäumen hoffen, bis zur Großdemonstration am Samstag aushalten zu können. Dann werden viele Tausend Menschen erwartet. Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat sich angekündigt.

Vielleicht wird die Räumung tatsächlich für eine Weile verzögert: Am Donnerstagnachmittag gibt der »Aktionsticker« bekannt, dass Teile des Hüttendorfes untertunnelt seien. »Nicht mit schwerem Gerät ins Wäldchen & Bereich der Straße fahren«, heißt es dort, ansonsten stürze der Tunnel ein. »Wir haben Kenntnis von einer angeblichen Tunnelanlage unter dem Gelände«, meldet die für den Einsatz in Lützerath zuständige Polizei in Aachen ebenfalls auf Twitter. Die Richtigkeit dieser Informationen werde nun geprüft.

Deshalb kämpfen Aktivist*innen um Lützerath
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