Die Revolution bleibt dope, alles andere ist wack

Eine Abspaltung der Berliner Linksjugend hat keine Lust mehr auf Kompromisse und kritisiert den Reformismus der Partei

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Konferenz geht gut los. Tom brüllt in den kleinen Saal. Dann wird glücklicherweise doch schnell das Mikrofon eingeschaltet. Akustisch mildert es den kämpferischen Ton. Inhaltlich bleibt alles wie gehabt. Die 150 Jugendlichen, die sich am Samstag im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin-Prenzlauer Berg versammelt haben, wollen den »revolutionären Bruch« mit der Linken und ihrem Jugendverband vollziehen. »Wir brauchen den Bruch mit dem Reformismus und stattdessen eine revolutionäre Kraft, die zum Sozialismus führen kann«, gibt Freddy, eine Genossin von Tom, die Marschroute aus.

Es ist die neueste Wendung im Trauerspiel der Linksjugend Solid Berlin. In den vorangegangenen Akten wurden aus dem Landesverband heraus schon der Parteinachwuchs von Grünen und SPD verbal attackiert, eine gemäßigte Bezirksgruppe suchte das Weite, und die Berliner Linke-Landesspitze strich dem Jugendverband die Pauschalzuschüsse. Nun also der endgültige »organisatorische und strategische Bruch« der Radikalen. Die 24-jährige Freddy, Erzieherin in Berlin, erzählt, dass sie die vergangenen sechs Jahre bei der Linksjugend war, aber das nicht länger könne, weil Die Linke als Partei in Regierungsverantwortung eine Mitschuld unter anderem an Abschiebungen und Kürzungen im Bildungsbereich trage.

Auch ihre Genossinnen waren mal im Parteijugendverband aktiv. Sie stören sich am »Reformismus« der Partei und seiner Jugend. Tabea, Studentin in Berlin, kritisiert, dass deren Funktion lediglich darin bestehe, die gesellschaftliche Opposition in ungefährliche Bahnen zu lenken. Stattdessen bräuchte es eine revolutionäre Partei, die Kämpfe anführe, außerdem Rätestrukturen. Auch Stephanie, ehemaliges Mitglied des Sprecher*innenrates der Berliner Linksjugend, meint, es brauche eine Handlungsanleitung, »wie man den Kapitalismus zerschlagen kann«. »Sich revolutionär zu nennen, heißt nicht, es auch zu sein«, weiß sie. Und überhaupt: »Was ist mit China?«

Der Berliner Fall ist nicht die einzige Absetzbewegung. In Leipzig hat sich die Linksjugend in eine Ost- und eine Süd-Gruppe gespalten. Anders als die Berliner Abspaltung, die die Nähe zu den Massen zumindest theoretisch suche, sagt man, dass der Leipziger Ost-Gruppe nun nicht gerade so viel an der Arbeiterklasse liege. Das muss an Sachsen liegen: Hier weiß man noch, dass die Malocher mitunter alles andere als Verbündete sind bei Fragen, die als »identitätspolitisch« gelten. An solch einer hat sich letztlich auch der Leipziger Ableger des Jugendverbandes gespalten, im Speziellen: an unterschiedlichen politischen Positionen zum Thema Transgeschlechtlichkeit.

Das ist so etwas wie der neue Nahost-Konflikt in linken Gruppen. Was nicht heißt, dass es den alten innerlinken Konflikt um den Konflikt in Nahost nicht mehr gibt. »Ich freue mich, dass irgendein Antideutscher in Deutschland daran erstickt, dass ich mit euch rede«, verkündet ein Vertreter der Gruppe »Palästina spricht« unter Applaus beim Auftaktpodium. Ein Mitglied der neuen Gruppe »Revolutionärer Bruch« hatte zuletzt einen Shitstorm auf sich gezogen, als »Welt«-Chef Ulf Poschardt ein Video von ihm entdeckte, das ihn zeigt, wie er die Berliner Linke dafür kritisiert, das Verbot einer Demonstration am Nakba-Tag mitgetragen zu haben. Der Tag gedenkt der Flucht und Vertreibung von Palästinensern zwischen 1947 und 1949. Bei der Demonstration kam es in den Jahren vor dem Verbot immer wieder zu antisemitischen Vorfällen.

»Palästina spricht« ist nicht die einzige Gruppe, die zur Konferenz begrüßt wird. Die zweistündige Eröffnungsveranstaltung ist nicht nur eine Mischung aus Versatzstücken sozialistischer Theorie und Klassenkampf-Rhetorik. Sie zeichnet sich auch durch eine Langatmigkeit aus, die vergleichbare Veranstaltungen im vergangenen Jahrhundert gehabt haben müssen. So richten dann auch gleich zehn Organisationen einen Beitrag oder ein Grußwort an die 150 Teilnehmer.

Fragt man jemanden, der die Linksjugend als Jugenverband 2007 mitbegründet hat, hört man auch da Ratlosigkeit in der Antwort. »Ich frage mich, wo dieses ›Revival‹ einer leninistischen Linie herkommt«, sagt das ehemalige, mittlerweile nicht mehr jugendliche Mitglied des Jugendverbands. Vielleicht sei es das Bedürfnis nach einer »neuen Klarheit« in komplexen Fragen. In jedem Fall erinnere es ihn an das, was er selbst erzählt bekommen habe über frühere K-Gruppen. Ob er die Kritik der Linksjugend-Abspaltung annehme? »Es ist natürlich sehr traurig, dass ein Parteijugendverband keine Revolution geschafft hat«, scherzt er.

Die Berliner Jugend-Abspaltung mit ihrem leninistischen Einschlag ist dabei nur Teil eines größeren Phänomens. Auch in der radikalen, etwas älteren Linken gibt es seit einigen Jahren eine Strategiedebatte über eine neue Parteigründung, im Sommer gab es in dieser Hinsicht ein Treffen verschiedener Gruppen.

Was das Problem dabei ist, skizziert am Samstag ein Vertreter einer weiteren linken Kleingruppe. Die Analogie, die bei der Konferenz am Wochenende der Liebknecht-Luxemburg-Demo zur damaligen KPD aufgemacht werde, halte er für falsch. »Früher gab es das Bewusstsein bei den Arbeitern – das gibt es jetzt nicht. Man kann eine revolutionäre Partei nicht aus dem Boden stampfen. Es braucht eine Basis.«

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