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Spionieren bei Freunden

Ausländischer Einsatz von »Pegasus« in Deutschland laut Bundestags-Gutachten rechtswidrig

Anhänger und Polizei warten 2018 auf die Freilassung des ehemaligen katalonischen Regionalpräsidenten aus der JVA Neumünster.
Anhänger und Polizei warten 2018 auf die Freilassung des ehemaligen katalonischen Regionalpräsidenten aus der JVA Neumünster.

Am 25. März 2018 wurde der ehemalige Regionalpräsident Kataloniens Carles Puigdemont von der Autobahnpolizei in Schleswig-Holstein verhaftet und vorübergehend im Gefängnis Neumünster inhaftiert. Wegen der Verfolgung durch den spanischen Staat lebt Puigdemont im Exil in Belgien. Mit vier Begleitern wollte der Politiker deshalb von Finnland kommend über Deutschland nach Brüssel weiterfahren.

Offenbar waren in die Festnahme auch Geheimdienste involviert. So hätten auch zehn Agenten des Nationalen Nachrichtendienstzentrums (CNI) aus Spanien den deutschen Verfassungsschutz über den bevorstehenden Grenzübertritt Puigdemonts informiert, berichteten spanische Medien damals. Das spanische CNI habe seine Telefone abgehört und mit einem Peilsender die Positionsdaten des Fahrzeugs ermittelt.

Eine solche digitale Überwachung wäre in Deutschland aber rechtswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag, die der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko beauftragt hatte. »Geheimdienstliche Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland sind als Ausübung fremder Staatsgewalt grundsätzlich unzulässig, sofern die Bundesrepublik sie nicht gestattet«, schreiben die Gutachter darin. Für eine solche Gestattung gebe es aber keine Rechtsgrundlage. Dies gelte auch für die Überwachung der Telekommunikation.

So sieht es auch der Geheimdienstexperte Thorsten Wetzling, der bei der Stiftung Neue Verantwortung das Themenfeld »Überwachung, Grundrechte und Demokratie« leitet. Er verweist außerdem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND), wonach eigenständige Überwachungsmaßnahmen ausländischer Dienste in Deutschland nicht nur von der einfachen Duldung seitens der Bundesregierung abhängen dürften.

Ob der spanische Geheimdienst tatsächlich auf deutschem Hoheitsgebiet Telefone Puigdemonts abgehört hat, lässt sich kaum belegen. Die damals amtierende schwarz-rote Bundesregierung will davon keine Kenntnis gehabt haben, teilte sie auf Anfragen aus dem Bundestag mit.

Für eine solche Maßnahme bräuchte es auch die Mithilfe einer deutschen Behörde, die Zugriff auf die Abhörschnittstellen der hier tätigen Telefonanbieter hat. Der Verfassungsschutz könnte darüber Inhalte von Gesprächen und Verbindungsdaten an das CNI weitergegeben haben. Dabei würde es sich dem Gutachten zufolge aber um einen »Ringtausch« handeln, dem das Verfassungsgericht in seinem BND-Urteil ebenfalls enge Grenzen gezogen hat. Demnach darf der Schutz vor Inlandsüberwachung nicht durch einen »freien Austausch« mit ausländischen Diensten um seine Wirkung gebracht werden.

Für eine solche Dienstleistung im Auftrag eines spanischen Dienstes bräuchte es eine Rechtsgrundlage. Weder das Bundesverfassungsschutzgesetz und das G 10-Gesetz zum Eingriff in das Fernmeldegeheimnis enthielten aber Normen für ein Tätigwerden des Verfassungsschutzes im Auftrag ausländischer Staaten, erklärt dazu der Rechtsanwalt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). »Schon aus diesem Grund dürfte eine Beteiligung deutscher Geheimdienste an der Überwachung von Carles Puigdemont unzulässig sein«, so Werdermann zu »nd«. Laut der Rechtsprechung aus Karlsruhe dürften außerdem keine Daten von Dissidenten übermittelt werden.

Neben dem direkten Anzapfen von Telefonen in Deutschland gibt es jedoch weitere Möglichkeiten, die Geräte für Abhörmaßnahmen aus dem Ausland zu nutzen. Hierzu gehört der Einsatz von Spionagesoftware, mit denen der spanische Geheimdienst die Telefone von Zielpersonen in Abhör- und Ortungswanzen verwandeln kann.

Spanien ist eines der Länder, dessen Polizei und Geheimdienste den Trojaner »Pegasus« einsetzen. Die Telefone von mindestens 63 Politikern, Anwälten und Aktivisten wurden damit infiltriert. Dies hat das kanadische Labor der Bürgerrechtsorganisation Citizen Lab vor einem Jahr als »CatalanGate« bekannt gemacht. Auch Carles Puigdemont gehört demnach zu den Opfern von »Pegasus«, allerdings indirekt über Ehepartner und enge Vertraute. Im Bericht von Citizen Lab wird dies als »relational targeting« bezeichnet.

Direkt angegriffen wurde hingegen der Anwalt Puigdemonts, Gonzalo Boye. In einem »nd« vorliegenden Beschluss vom 28. Juni legt der Oberste Gerichtshof in Spanien das »Abhören von Nachrichten« Boyes offen. Dabei wurde »Pegasus« genutzt, hat der frühere Chef des CNI im Mai des vergangenen Jahres in einer geheimen Sitzung bestätigt. Die Forscher von Citizen Lab konnten rekonstruieren, dass Boye’s Telefon zwischen Januar und Mai 2020 mindestens 18 Nachrichten mit Links auf Webseiten erhielt, die mit »Pegasus« infiziert waren. Um den 30. Oktober 2020 soll der Angriff schließlich geglückt sein, berichtet Citizen Lab.

Der Anwalt glaubt, dass der spanische Geheimdienst mit dem Trojaner auf seinem Telefon gegen das in Deutschland geltende Abhörverbot für ausländische Dienste verstoßen hat. »Einige Zeiträume, für die Citizen Lab meine Überwachung dokumentiert hat, fallen mit meinen Auslandsreisen nach Belgien und Deutschland zusammen«, bestätigt Boye dem »nd«.

Dass das CNI die Spionagesoftware auf Telefonen seiner Zielpersonen auch im Ausland nutzt, ist nach einer Recherche der Journalistin Adrienne Fichter etwa für die Schweiz belegt. Demnach wurde der aus Katalonien stammende Blockchain-Unternehmer Jordi Baylina an seinem Wohnort in Zug mit »Pegasus« ausgespäht.

Boye wurde in Chile geboren und besitzt neben der chilenischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Das macht seine Grundrechte in Deutschland besonders schützenswert. Letztlich kommt es auf die Staatsangehörigkeit aber gar nicht an, so das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Demnach ist der deutsche Staat dazu verpflichtet, personenbezogene Daten aller Menschen zu schützen, die sich auf seinem Hoheitsgebiet aufhalten.

Fraglich ist nun, wie der Ex-Präsident Puigedemont und sein Anwalt Boye ihre mögliche Verfolgung durch das CNI in Deutschland aufklären können. »Möglich wäre für Boye ein Antrag auf Auskunft beim Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz zu seinen dort gespeicherten Daten«, erklärt Wetzling. Zudem könnten sich Boye und Puigedemont an den Bundesbeauftragten für Datenschutz wenden. Wenn die Abhörmaßnahmen jedoch mit »Pegasus« von Spanien aus erfolgten und die deutschen Dienste also nicht beteiligt waren, laufen die Anfragen ins Leere.

»Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet den Staat dazu, die hier lebenden Menschen vor Angriffen auf ihre informationstechnischen Systeme zu schützen. Dazu gehört auch, Hinweisen auf Spionagetätigkeiten ausländischer Geheimdienste nachzugehen und gegebenenfalls Strafverfahren einzuleiten«, sagt der Rechtsanwalt David Werdermann, der in der GFF auch gegen Geheimdienste klagt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz gehe »grundsätzlich allen Hinweisen auf illegitime Aktivitäten ausländischer Staaten nach«, heißt es auf Anfrage. Zu operativen Sachverhalten einer etwaigen spanischen Spionage in Deutschland äußere man sich aber nicht. Auch der Bundesnachrichtendienst und das Bundeskriminalamt beantworten keine inhaltlichen Fragen dazu. Inwiefern die Bundesregierung die Grundrechte hierzulande also wie vorgeschrieben vor einer Spionage anderer EU-Staaten schützt, ist deshalb schwer zu überprüfen.

Transparenzhinweis: Zum Zeitpunkt der parlamentarischen Anfragen im Jahr 2018 arbeitete der Autor in dem genannten Bundestagsbüro.

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