Ausbeutung auf Obstplantagen

Lieferkettengesetz und Zertifizierung verhindern Menschenrechtsverletzungen nicht. Beispiel Costa Rica

  • René Thannhäuser
  • Lesedauer: 4 Min.
Bananenplantage in Costa Rica
Bananenplantage in Costa Rica

Sichtlich mitgenommen berichtet Flor Mora Quiroz von ihrer Arbeit auf einer Bananenplantage in Costa Rica. Schwere Gesundheitsschäden hat sie durch die Knochenarbeit erlitten. Als sie versuchte, sich mit Kolleg*innen zu organisieren, wurde sie entlassen. Als »moderne Sklaverei« bezeichnet Albino Vargas, Vorsitzender der Gewerkschaft Anep, die Arbeitsbedingungen auf Obstplantagen in dem zentralamerikanischen Land.

Oxfam Deutschland hatte Anfang 2022 die Studie »Grenzenlose Ausbeutung« veröffentlicht, in der unter anderem über schlimme Zustände auf Obstplantagen in Costa Rica berichtet wurde. Im November machten sich Steffen Vogel und Tim Zahn von der Hilfsorganisation erneut ein Bild von der Situation. »Flächendeckend gibt es überhaupt keine Verbesserungen«, fasst Zahn die Ergebnisse der Reise zusammen. Dabei berichtet Oxfam bereits seit 2016 darüber.

Costa Rica zählt zu den weltweit wichtigsten Produzenten von Ananas und Bananen. Auch deutsche Einzelhandelsketten wie Aldi, Edeka, Lidl und Rewe gehören zu den Abnehmern. Nicht selten ist Obst aus Costa Rica in den Supermärkten mit einem Siegel von »Fairtrade« und noch häufiger mit dem grünen Frosch der »Rainforest Alliance« versehen.

Doch auch hinter dem Nachhaltigkeit versprechenden Frosch stecken nicht selten Menschenrechtsverletzungen. Arbeitstage von bis zu 13 Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche, dabei dem tropischen Klima und Pestiziden ausgesetzt – das ist für Plantagenarbeiter*innen in Costa Rica Normalität. Die nicht seltene Folge: lebenslange Arbeitsunfähigkeit bereits mit Anfang 40. Bezahlt wird dafür häufig nicht mehr als ein Hungerlohn. Wer sich dagegen wehrt, dem droht wie Flor Mora Quiroz die Entlassung.

Costa Rica brüstet sich damit, ein Leuchtturm der Menschenrechte zu sein. Für Didier Leitón, Generalsekretär der Gewerkschaft Sitrap, ist das »ein Märchen«. Im Privatsektor generell herrsche eine strukturelle Gewerkschaftsfeindschaft, wobei die Verhältnisse auf Obstplantagen am schlimmsten seien.

»Es handelt sich um geringqualifizierte Arbeiter*innen, häufig Migrant*innen«, berichtet Santiago Ramírez, der als juristischer Berater von Anep hauptsächlich in den ausgedehnten Ananasanbaugebieten im Norden Costa Ricas tätig ist. Viele akzeptierten aus Angst vor Entlassung Arbeitsbedingungen, die selbst die gesetzlichen Mindeststandards unterlaufen. Ramírez hat als bekannter Gewerkschafter auf vielen Plantagen Hausverbot. Das Arbeitsministerium, das bei Rechtsverstößen ermitteln müsste, ist keine Hilfe. Chronisch unterfinanziert verfügt es über gerade einmal 80 Kontrolleure für das gesamte Land.

Unter solchen Bedingungen produziertes Obst sollte seit dem 1. Januar eigentlich nicht mehr in Supermärkten in Deutschland zu kaufen sein. Das hatten sich zumindest die Befürworter*innen des in Kraft getretenen »Gesetzes über unternehmerische Sorgfaltspflichten« erhofft. Doch es gebe nur ein »Lieferkettengesetz light«, kritisiert Tim Zahn. Es gelte lediglich eine Bemühenspflicht, angemessene Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen. So sieht das Gesetz für Supermarktketten »angemessene Präventionsmaßnahmen«, darunter »angemessene Kontrollverfahren«, vor. Wie die zuständige Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, diese schwammige Formulierung auslegt und ob es die Praxis von Unternehmen ändert, werde sich in der Zukunft zeigen, erklärt Zahn.

So rücken die Kontrollverfahren ins Zentrum der Kritik. Denn möchte ein Unternehmen seine Produkte zertifizieren lassen, dann beauftragt es eine akkreditierte Auditierungsfirma wie Ceres, Control Union oder Ecocert. Diese melden nach einer Kontrolle, einem Audit, der Zertifizierungsorganisation wie Fairtrade oder Rainforest Alliance, ob das geprüfte Unternehmen die geforderten Standards erfüllt. Wenn dies der Fall ist, erhält das Unternehmen für sein Produkt das gewünschte Zertifikat.

Jurist Ramírez kritisiert dies als »Kommerzialisierung der Arbeitsrechte«. Stellt die Auditierungsfirma kein positives Urteil über ein Unternehmen aus, erhält sie keine Zahlung und von diesem vermutlich nie wieder einen Auftrag. Und auch die Zertifizierer lebten letztlich von positiv verlaufenden Zertifizierungsverfahren. »Ein klarer Interessenkonflikt«, so Ramírez.

Schon bei gesetzeskonformem Ablauf ist dies ein problematisches Verfahren. Aus Costa Rica berichten Plantagenarbeiter*innen aber, dass sie von Unternehmen unter Androhung von Kündigung und Repression zu positiven Aussagen gegenüber Auditierungsfirmen gezwungen werden. Unter besonders miserablen Bedingungen bei Subunternehmen angestellte Kolleg*innen werden am Tag der Kontrolle gar nicht erst auf die Plantage gelassen.

Dass durch Zertifizierung Menschenrechtsverletzungen weder erkannt noch beendet werden können, sei seit Jahren belegt, kritisiert Oxfam-Mitarbeiter Zahn. Dies könne sich nur ändern, wenn Gewerkschaften in die Zertifizierungsprozesse integriert werden. Doch dies schreibt das deutsche Lieferkettengesetz bislang nicht explizit vor. Die Rainforest Alliance als weltweit wichtigster Zertifizierer habe daran bislang kein Interesse, berichtet Ramírez.

Auch beim geplanten EU-weiten Lieferkettengesetz sieht der momentane Vorschlag vor, dass Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette zwar bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haften müssen, nach einem erfolgreichen Audit würden beide Fälle jedoch ausgeschlossen. »Effektiv wird im aktuell diskutierten Vorschlag eine Enthaftung über die Zertifizierung in das Gesetz geschrieben – das ist hochproblematisch«, fasst Tim Zahn zusammen. Damit würde das EU-Gesetz über das deutsche sogar einen großen Schritt hinausgehen, denn dieses lässt die Frage der zivilrechtlichen Haftung offen.

So bleibt nach wie vor entscheidend, wie viel Verbraucher*innen in Deutschland bereit sind, für Ananas und Bananen zu bezahlen, sagt Ramírez. »Und wie viel von dem gezahlten Preis tatsächlich bei den Arbeiter*innen auf den Plantagen ankommt.«

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