Russland verbietet Moskauer Helsinki-Gruppe

Stadtverwaltung kündigt dem Sacharow-Zentrum die Räumlichkeiten

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Sacharow-Zentrum in der Moskauer Innenstadt für ein Vierteljahrhundert ein wichtiger Ort für den freien Austausch
Das Sacharow-Zentrum in der Moskauer Innenstadt für ein Vierteljahrhundert ein wichtiger Ort für den freien Austausch

Der Richter brauchte nur 20 Minuten, bis er das Urteil gefällt hatte. Am Mittwoch ordnete das Stadtgericht der russischen Hauptstadt die Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe an, der ältesten Menschenrechtsgruppe im Land.

Ende Dezember hatte das Justizministerium die »Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe und ein Verbot ihrer Aktivitäten auf russischem Gebiet« gefordert. Im Rahmen einer außerordentlichen Überprüfung sei festgestellt worden, dass die Moskauer Menschrechtler auch an Veranstaltungen in St. Petersburg, Baschkirien und Inguschetien teilgenommen hätten. Damit, so das Justizministerium, habe die Helsinki-Gruppe gegen ihren regionalen Status verstoßen.

Die Menschenrechtsorganisation hatte sich 1976 gegründet, um »die Einhaltung der humanitären Artikel der Schlussakte von Helsinki zu fördern«, und musste aufgrund staatlicher Verfolgung in den 80er Jahren ihre Arbeit für sieben Jahre einstellen. Von 1996 bis zu ihrem Tod 2018 war die bekannte Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa Vorsitzende der Helsinki-Gruppe.

Vor Gericht beklagten Vertreter der Organisation die Kürze des Verfahrens. »Wie kann man mit so einer Leichtigkeit etwas zerstören, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde?«, beschwerte sich einer der Gründer, Walerij Borschtschew, im Gerichtssaal. Die Anwälte der Helsinki-Gruppe kündigten Berufung an.

Am Donnerstag gab das Sacharow-Zentrum bekannt, seine Räume verlassen zu müssen. Seit der Gründung der nach dem Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow benannten Organisation 1996 hatte die Stadtverwaltung kostenlos ein Haus im Moskauer Stadtzentrum zur Verfügung gestellt, in dem auch ein Museum untergebracht ist. Über ein Vierteljahrhundert sei das Zentrum ein Ort gewesen, der Tausende Russen zusammengebracht habe, die sich für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt haben, schrieb das Zentrum auf Facebook.

Der Stadtverwaltung machte die Organisation keine Vorwürfe. Grund für die Kündigung ist vielmehr eine Änderung im Gesetz über ausländische Agenten, die seit Dezember keine staatliche Unterstützung mehr erhalten dürfen. Das Sacharow-Zentrum wurde bereits 2014 als sogenannter ausländischer Agent eingestuft und musste bereits mehrere Millionen Rubel Strafe zahlen. Anfang der Woche hatte die Generalstaatsanwaltschaft zudem die US-amerikanische Andrei Sakharov Foundation zur unerwünschten Organisation erklärt. Nach der Entscheidung hatten die Moskauer Vertreter noch die Hoffnung geäußert, nicht davon betroffen zu sein.

»Im heutigen Russland ist eine Insel der Freiheit nicht mehr möglich«, heißt es in der Erklärung des Zentrums. Vor ihnen liege eine große Anstrengung, alles, was mit der Arbeit des Zentrums zu tun hat, zu retten. »Wir versuchen, die Erinnerung an das Zentrum und seine Tätigkeit zu bewahren«, schreibt die Organisation weiter. Vorerst will das Zentrum virtuell weiterarbeiten.

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