Knistern im Kiez

Der Konsum von Crack in Kreuzberg steigt – mit schweren sozialen Folgen

  • Fabian Kunow
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Frühjahr 2021 nimmt die Kreuzberger Initiative »Wrangelkiez United« eine Zunahme von Crackkonsum in den Straßenzügen rund um die Wrangelstraße und den naheliegenden Görlitzer Park wahr. Nun hat die Initiative einen Offenen Brief verfasst und am Wochenende verschickt. In dem Schreiben wird auf die Folge einer Crack-Abhängigkeit aufmerksam gemacht und die »damit einhergehende soziale Verelendung: wohnungslose und von Armut betroffene Menschen im Kiez, z.T. mit massiven psychischen Auffälligkeiten«. Für die Anwohnerschaft bedeute das »vermehrt Drogenkonsum in Treppenhäusern, Hauseingängen, Spielplätzen und Gärten« mit entsprechenden »Hinterlassenschaften«.

David Kiefer von »Wrangelkiez United« spricht gegenüber »nd« von 260 Unterstützern des Offenen Briefs in der Nachbarschaft. »Die Idee zum Offenen Brief entstand im Oktober bei einem Nachbarschaftstreffen aufgrund der Erfahrungen aus dem letzten Winter«, erzählt Kiefer. Neben Anwohnern haben aber auch Kiezinstitutionen wie die Sprachschule Babylonia, das Bildungswerk Kreuzberg, ein Buch- und ein Bioladen sowie zwei Kindertagesstätten unterschrieben. Der Brief ist auf Deutsch, Türkisch und Englisch verfasst.

Adressiert ist der Brief an die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sowie die Senatorin für Soziales Katja Kipping (Linke) und die Senatorin für Gesundheit Ulrike Gote (Grüne). Auch Bezirkspolitiker*innen in Friedrichshain-Kreuzberg werden angesprochen. Warum gleich so viele Verantwortliche Post bekommen haben, erklärt Kiefer so: »Bei Gesprächen mit Politiker*innen haben wir festgestellt, dass vom Sozialamt auf das Gesundheitsamt verwiesen wurde – und umgekehrt. Keine*r übernimmt Verantwortung. Ebenso geht es zwischen Bezirk und Land hin und her.«

Dass sich Anwohnende in Kiezen, in denen es eine offene Drogenszene gibt, öffentlich beschweren, ist kein seltenes Ereignis. Oft wird dabei nach einer verstärkten Polizeipräsenz gerufen. Im Wrangelkiez soll aber ein anderer Weg gegangen werden. »Wir haben bewusst die Verantwortlichen für Gesundheit und Soziales adressiert und keine Innenpolitiker*innen: Es gibt seit Anfang 2020 so viel Polizei im Kiez wie nie zuvor, aber das bringt alles nichts. Die Situation im Wrangelkiez hat sich weiter zugespitzt«, führt David Kiefer aus.

Die Zuspitzung der Verelendung trägt – neben der weit verbreiteten Obdachlosigkeit – einen Namen: Es ist die Droge Crack. Crack ist die Armutsvariante des Kokainkonsums. Statt bröckliges Pulver durch die Nase zu ziehen, wird Crack geraucht. Um das pulverförmige Kokain, welches ursprünglich aus Südamerika stammt, rauchbar zu machen, wird es mit Wasser und Natron aufgekocht. Dabei entstehen kleine kristallförmige Steine, die in Pfeifen geraucht werden. Das Kracken (Englisch: to crackle = knistern) beim Verbrennen dieser Klumpen gab der Droge vermutlich ihren Namen. Die einzelne Konsumeinheit ist mit 0,1 Gramm Kokain klein und entsprechend billig. Durch das Rauchen wirkt der Kokainrausch wesentlich schneller und intensiver als beim Konsum über die Nasenschleimhäute. Der Rausch endet aber bereits nach einigen Minuten und die Depression sowie der Wunsch nach einem erneuten Rausch setzt ein. Das führt schnell zu psychischer Abhängigkeit.

Zwei Drogenkonsumräume, in denen Crack und andere illegalisierte Drogen konsumiert werden können, gibt es bereits in Kreuzberg. Ein Mitarbeiter stellt im Gespräch mit »nd« den Ablauf vor. Bevor Nutzende eintreten dürfen, müssen sie ihren Stoff zeigen, damit es keinen Handel im Raum gibt. Dann können sie im Rauchraum ihr Kokain aufkochen. Das mitgebrachte Kokain haben sie oft in den typischen Plastikgefäßen dabei. Saubere Kochutensilien bekommen sie gestellt. Das Aufkochen dauert nach Reinheit der Ursprungssubstanz und Geschicklichkeit zwischen fünf und 20 Minuten. Anschließend wird konsumiert. Medizinisches Personal ist vor Ort und kann zur Not eingreifen.

Diese beiden Räume sind allerdings nur wenige Stunden am Tag geöffnet, in der Nacht sind sie geschlossen. Eine Forderung, die im offenen Brief erhoben wird, ist daher, dass die Konsumräume auch in der Nacht geöffnet werden sollen. Ergänzt werden könnten sie durch weitere ähnliche Angebote, auch in mobiler Form, so die Verfasser.

Mitarbeiter in der Drogenhilfe stellen in vielen großen Städten eine Zunahme des Crackkonsums fest. Für Niklas Schrader, Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus für Drogenpolitik, liegt das auch an den restriktiven Bedingungen: »Vermutlich ist das ein Zusammenspiel von der breiten Verfügbarkeit von Kokain zu niedrigen Preisen und dem hohen Suchtpotential von Crack«, sagt er. »Der Schwarzmarkt floriert auch unter Verbotsbedingungen – noch ein Beweis dafür, dass die repressive Drogenpolitik gescheitert ist.«

David Kiefer von der Anwohnerinitiative im Wrangelkiez formuliert es ähnlich: »Soziale Probleme brauchen soziale Lösungen.«

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