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Lerneffekt blieb aus

Nach rund drei Jahren fällt die Maskenpflicht auch im Verkehrswesen

Wirft sie ihre Masken weg oder fängt sie welche auf für später?
Wirft sie ihre Masken weg oder fängt sie welche auf für später?

Sie ist praktisch die letzte noch gültige Maßnahme aus der Zeit staatlich verordneter Corona-Einschränkungen: die Maskenpflicht in einigen Bereichen des öffentlichen Lebens. In hiesigen Verkehrsmitteln geht sie nun zu Ende – und das sang- und klanglos.

Das liegt auch daran, dass das Ende scheibchenweise vonstatten geht: Die international verkehrende Luftfahrt hatte dies mit Verweis auf unterschiedliche nationale Bestimmungen schon vor vielen Monaten verkündet, auch aus geschäftlichen Gründen. Der Bund hebt die eigentlich bis April verlängerte Pflicht im Bahnfernverkehr vorzeitig an diesem Mittwoch auf. Im ÖPNV, der Ländersache ist, ging es im Dezember in Sachsen-Anhalt und Bayern los. Die meisten Länder lassen rund um den 1. Februar die Gesichtshüllen fallen, den Abschluss macht unter anderem das linksregierte Thüringen am Donnerstag. Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält dies für richtig, da sich die Lage in der Pandemie stabilisiert habe. Es sei nicht mit einer weiteren Winterwelle von Infektionen zu rechnen, sagte er.

Ganz weg ist die Maskenpflicht damit aber nicht. Sie gilt laut Gesetz bis April weiter in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen. Doch auch hier ist die Aufhebung wohl nur eine Frage der Zeit. Mehrere Medizinervereinigungen haben sich dafür ausgesprochen, zuletzt die mit politischen Forderungen in der Pandemie bisher zurückhaltende Deutsche Gesellschaft für Infektiologie: »Sars-Cov-2 ist hierzulande jetzt ein Gesundheitsrisiko unter vielen«, begründet es Verbandschef Bernd Salzberger. Für besonders vulnerable Menschen und in einzelnen Versorgungsbereichen wie der Onkologie oder Transplantationszentren sei zwar weiterhin ein erhöhter Infektionsschutz sinnvoll und notwendig, das könne jedoch über Einzelregelungen abgedeckt werden.

So langwierig und holprig wie das Ende der Maskenpflicht war indes auch ihre Einführung im ersten Coronajahr 2020, als das Pandemiepotential des neuartigen Coronavirus von vielen noch deutlich unterschätzt und auch die Ausbreitungswege verkannt wurden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) als oberste deutsche Gesundheitsbehörde sah zunächst »keine hinreichende Evidenz« dafür, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für gesunde Menschen deutlich verringere, und sah sich darin von der Weltgesundheitsorganisation bestärkt. Masken wurden sogar negativ gesehen mit der Begründung, sie würden ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Als Sars-CoV-2 sich in Deutschland ausbreitete, empfahl das RKI als Schutz lediglich Händewaschen, Niesen in die Armbeuge und zwei Meter Abstand. Vielerorts wurden Plexiglastrennscheiben aufgestellt. Dem lag die falsche Vorstellung zugrunde, dass die Übertragung vor allem durch Tröpfcheninfektion vonstatten gehe, kurz: durch Anniesen. Übersehen wurden die Hauptverursacher: Aerosole, also in der Luft schwebende Teilchen, die sich in geschlossenen, schlecht gelüfteten Räumen ausbreiten. Sind letztere proppenvoll und wird laut geschrien und gesungen, kann eine Karnevalssitzung wie damals in Heinsberg zum Superspreadingevent werden.

Erst im April 2020, als mehrere Studien auf einen gewissen Effekt des Maskentragens hindeuteten, empfahl das RKI eine »Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von Covid-19«. Und am 29. April kam dann das Machtwort der Bundesregierung: »Ab sofort gilt in ganz Deutschland eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken. Mund und Nase müssen in allen Bundesländern bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs bedeckt werden. Diese Pflicht gilt zudem auch für den Einkauf.« Vorreiter war hierbei übrigens Sachsen. Erlaubt waren anfangs auch selbstgenähte Alltagsmasken, Tücher oder Schals. In einem Video der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurde dem staunenden Bürger der richtige Gebrauch gezeigt.

Dass einfache Masken die Atemluft nicht gerade gut filtern, wurde zunächst hingenommen. Erst Ende Januar 2021, auf dem Höhepunkt der zweiten und tödlichsten Welle in Deutschland, wurden medizinische Masken vorgeschrieben, später FFP-2-Masken. Bei diesen wurde der größte Schutz angenommen, zumal die hohe Filterleistung durch das CE-Siegel eigentlich nachgewiesen sein sollte. Nach anfänglichen Knappheiten gehörten diese – zunächst in weiß, dann in unterschiedlichen Farben – zum Alltag.

Etliche Studien aus unterschiedlichen Ländern belegten teilweise sogar einen extrem hohen Schutz vor einer Corona-Infektion in Innenräumen, passiv und aktiv. Will heißen: Wenn alle eine Maske tragen, sinkt die Virenlast beim »Empfänger« stärker. Dass es hier um mehr als Selbstschutz geht, war letztlich die fachliche Begründung für die gesetzliche Pflicht. Kleine Zweifel blieben bis heute: Das Wissenschaftlernetzwerk Cochrane schreibt in einem kürzlich erschienenen Überblick über experimentelle Studien zum Thema, Masken hätten hier nur einen geringen oder keinen Einfluss auf das Auftreten einer Atemwegserkrankung gezeigt. Allerdings räumen die Autoren selbst ein, dass nur wenige Studien zu Covid-19 verwendet wurden und diese möglicherweise nicht aussagekräftig seien.

Wie gut Masken in den vergangenen Jahren geschützt haben, hatte ohnehin mehr mit dem Alltagsverhalten zu tun. Wenn die Maske nicht richtig angedrückt oder gar nur unter der Nase getragen wird, wenn sie regelmäßig etwa zum Trinken abgesetzt oder zu häufig die gleiche benutzt wird, sinkt der Nutzen. Und in der Vielzahl am Markt vorhandener Masken gibt es welche von minderer Qualität. Eine nicht gerade kleine Bevölkerungsgruppe war ganz raus: »Um eine FFP2-Maske sicher tragen zu können, kann man Bartträgern nur raten, den Bart abzurasieren«, mahnte Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung. Was wohl nur von ganz wenigen umgesetzt wurde. Die Maske war also nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Baustein bei der Pandemie-Eindämmung.

Die Omikron-Variante mit ihren deutlich moderateren Krankheitsverläufen führte dann auch zum Kurswechsel bei den Maßnahmen. In der Politik ging es nicht mehr vorrangig um die Frage der medizinischen Notwendigkeit, sondern um die der Verhältnismäßigkeit. Oder wie es der Leiter des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, der Jurist Stefan Huster, ausdrückt: »Rechtfertigt die Schutzwirkung im konkreten Fall zum Beispiel die Einschränkung der Freiheit? Oder die Nebenwirkungen, wie zum Beispiel an Schulen – wenn womöglich der Unterricht durch Masken behindert wird?« Im April 2022 fiel nach zwei Jahren die bundesweite Maskenpflicht in Schulen, im Einzelhandel und in der Gastronomie. Jetzt folgen die restlichen Bereiche. Eigenverantwortung lautet die Botschaft. Maskentragen wird ja nicht verboten.

Die Hoffnung in Fachkreisen, dass in Deutschland eine Art gesamtgesellschaftliche Maskenkultur wie etwa in Japan entstehen könnte, dürfte sich aber nicht erfüllen. Die Corona-Maßnahmen in Deutschland wurden von oben herab verordnet. »Unten« geriet die Maske ins Fahrwasser einer polarisierten Debatte. Für manche waren Nichtträger potenzielle Mörder, für andere war die Maskenpflicht Teil der herbeifantasierten Corona-Diktatur. In der aufgeheizten Stimmung attackierten Nichtträger Mahner schon mal handgreiflich.

Viele Bürger sahen anfangs einen Sinn darin, wie Umfragen zeigten. Auf Dauer trug man die Maske eher zähneknirschend, im Bahnverkehr wurde die Pflicht zuletzt immer weniger befolgt. Ein gesellschaftlicher Lernprozess blieb offenbar aus, wie im Einzelhandel zu sehen ist, wo trotz zwischenzeitlicher Corona- und Influenzawelle die Maske fast vollständig verschwunden ist. Und so bleibt am Ende wohl wieder mal nur der Staat, wenn es ernst wird. Und der darf es nicht überziehen. Wie es Infektiologe Bernd Salzberger mit Blick auf die Maskenpflicht sagt: »Die Maßnahmen sollten aufgehoben werden – auch um die Akzeptanz für zukünftige Einschränkungen nicht zu gefährden, sollte eine ungünstige Entwicklung der Infektionslage derartiges wieder nötig machen.«

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