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Zwischen »russischer Welt« und Europa

Wie staatliche Stellen und private Initiativen ukrainische Geflüchtete in Russland unterstützen

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 5 Min.
Russlands Staat und Kirche unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine, trotzdem gibt es viele Probleme bei der Integration.
Russlands Staat und Kirche unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine, trotzdem gibt es viele Probleme bei der Integration.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks befanden sich im Oktober 2022 2,8 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Russland – etwa dreimal so viele wie zu dieser Zeit in Deutschland. Wer sich darüber wundert, dass so viele Leute quasi im Land des Aggressors Schutz suchen, bedenkt zu wenig die Umstände, unter denen Ukrainer ihr Land verlassen.

Eine recht typische Geschichte ist hier die der Bloggerin Marianna Wyschemirskaja aus Mariupol, die sie der Münchner »Abendzeitung« erzählt hat. Sie wurde infolge des Angriffs auf eine Geburtsklinik unfreiwillig prominent. Nach dem Scheitern mehrerer Evakuierungsversuche der ukrainischen Seite ins Regierungsgebiet musste sie mit ihrem neugeborenen Kind abwarten, bis mit Russland verbündete Rebellen ihr Viertel in der eingeschlossenen Stadt erobert hatten. Ihr einzig verbliebener Fluchtweg führte daraufhin nach Russland – die Front zu passieren war unmöglich. Sie lebt aktuell in Moskau.

Geringe staatliche Unterstützung

Solche Fluchtgeschichten gibt es viele – man flieht vor dem Kampf ins Hinterland, wohin es eben geht. Daneben berichten Ukrainer, sie seien gegen ihren Willen nach Russland verschleppt worden. Umgekehrt flohen Kollaborateure bei den ukrainischen Offensiven im Herbst vor den Kiewer Truppen aus Angst vor Racheakten, Zeltstädte entstanden in der russischen Nachbarregion. Sehr häufig finden Flüchtlinge Unterschlupf bei Verwandten, die in Russland leben. So gibt es keinen Grund, die offiziellen Zahlen anzuzweifeln.

In Russland erhalten Geflüchtete eine von Präsident Wladimir Putin im vergangenen Sommer verkündete staatliche Unterstützung von umgerechnet etwa 130 Euro pro Kopf. Veteranen, Schwangere oder Mütter von Säuglingen erhalten weitere Zuschläge. Das ist auch in Russland zu wenig zum Leben, weshalb sie auf unterstützende humanitäre Hilfe angewiesen sind. Es gibt vor allem zwei Arten von Unterstützern.

Zum einen regierungsnahe Organisationen, die dem Grunde nach den Angriffskrieg gegen das Nachbarland unterstützen. Vor allem die Russisch-Orthodoxe Kirche tut sich hier hervor, aber auch immer wieder systemnahe Duma-Parteien. In kirchlichen Einrichtungen werden Flüchtlinge untergebracht, medizinische Hilfe geleistet oder Bekleidung und Schuhe ausgegeben. Diese Art der Flüchtlingshilfe erkennt man häufig daran, dass von einer Hilfe für »ukrainische« Flüchtlinge kaum die Rede ist, eher für solche aus dem Donbass, der nach dem Verständnis der russischen Regierung ja seit einer Annexion Teil Russlands ist.

Geflüchtete erhalten russische Pässe

Ein Hintergrund der Hilfe durch Unterstützer der Invasion ist auch, dass man die Ukrainer in die erzkonservative, sogenannte »russische Welt« integrieren will, sie in kriegsunterstützenden Kreisen als Teil davon begreift. Großzügig werden russische Pässe ausgegeben, spezielle russische Kulturevents organisiert. Putin selbst prägte im November das Bild von den »guten« Flüchtlingen, die nach Russland kommen, und den »fordernden«, die in die Europäische Union fliehen. All das ist angesichts russischer Grausamkeiten an der Front und des Bombardements des ukrainischen Hinterlandes nicht so widersinnig oder einzigartig, wie es scheint.

Auch im Vietnam-Krieg lancierten die USA ein humanitäres »Winning Hearts and Minds«-Programm, um die Bevölkerung auf die eigene Seite zu ziehen, während anderswo amerikanische Bomben regneten. Auch muss man sich von dem Bild verabschieden, der Teil der russischen Bevölkerung, der den Krieg wirklich unterstützt, bestehe nur aus überzeugten »Monstern« – man will sich selbst beweisen, dass man kein Unmensch ist. Auch wenn man ein Regime unterstützt, an dessen Menschlichkeit Zweifel erlaubt sind.

Private Initiativen helfen bei Weiterreise

Abseits dieser staatlichen Unterstützung gibt es viel privat organisierte humanitäre Hilfe. Diese rekrutiert sich vor allem aus einem ganz anderen Teil der russischen Bevölkerung – die den eigenen Angriffskrieg im Nachbarland ablehnt. Es handelt sich um private Initiativen, teilweise Stiftungen, bei denen Menschen wirklich das von ihren Landsleuten im Kriegsgebiet begangene Unrecht irgendwie wiedergutmachen wollen, aus echtem Mitgefühl.

Diese Art der Hilfe wird von staatlicher Seite nicht unterstützt, eher behindert und sanktioniert. So machten im Dezember Strafverfahren gegen das Komitee Civil Assistance Schlagzeilen, die wie so oft in Russland, unter dem Label »Diskreditierung der russischen Armee« liefen, womit jede Kritik am russischen Krieg im Nachbarland hart geahndet wird. Das Komitee existiert seit den 90er Jahren zur Unterstützung ukrainischer Auswanderer, bekam wie viele Menschenrechtsinitiativen jedoch in den letzten Jahren immer größere Probleme mit den Behörden.

Diese Initiativen werden trotzdem viel aufgesucht, da sie – neben Lebensmitteln und Geldern – auch Hilfeleistungen anbieten, die die staatsnahen Stellen nicht bieten, etwa zur Weiterreise in die EU für Ukrainer, die nicht dauerhaft in Russland bleiben wollen. Diese Weiterreise ist nicht nur finanziell ein Problem – an den Grenzen zu den baltischen Staaten gibt es umfangreiche bürokratische Hürden, wird berichtet. Auch Ärzte arbeiten in ihrer Freizeit bei solchen Hilfsnetzwerken.

Währenddessen schicken staatliche Stellen Flüchtlinge inzwischen in den Donbass zurück, wenn ihre Heimatregion als »gesichert erobert« gilt – was angesichts der Kriegslage keine wirklich verlässliche Aussage ist. Erst vor wenigen Tagen kündigte der Duma-Abgeordnete Dmitrij Wjatkin laut der Nachrichtenagentur Tass eine »Massenrückführung von Flüchtlingen in den Donbass« an.

Eingliederung in Russland bleibt Problem

Die humanitär engagierten Kriegsgegner verlangen zudem keine Lippenbekenntnisse zur »russischen Welt« oder, wie es die Zeitung »Kommersant« ausdrückt, »keine Bereitschaft zum russischen Pass«. Wer im Herzen Ukrainer bleibt, muss hier keine Angst vor Denunziationen haben, die zu Verhaftungen führen können. Die Arbeit der privaten, kriegskritischen Initiativen ist auch ein Betätigungsfeld für Russen, denen ein offener Protest gegen den Feldzug nicht mehr möglich ist. Ihr Engagement wird dem staatlichen weiterhin überlegen bleiben.

Neben den Zwangsrückführungen macht auch die Bürokratie den Geflüchteten in Russland das Leben schwer. Die Petersburger Onlinezeitung »Fontanka« berichtet von Problemen bei der Arbeitssuche oder bei der Zuteilung von Kindergartenplätzen und von langen Bearbeitungszeiten bei der staatlichen Flüchtlingshilfe.

Ihre schwierige Situation kann dazu führen, dass noch mehr Ukrainer in Russland den nicht einfachen Weg in die EU antreten, etwa wenn es verstärkt Abschiebungen ins Kriegsgebiet geben sollte. »Es gibt kein Zurück mehr«, drückt eine Flüchtlingsfrau in Sankt Petersburg eine Meinung vieler Geflohener aus. Wenn man nicht bleiben kann, bleibt nur das Weiterziehen.

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