Ungleiche Partner

Ukraine hofft vergeblich auch raschen EU-Beitritt

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.
Ukrainische Kinder feiern in Krakau mit einer EU-Flagge am Internationalen Kindertag.
Ukrainische Kinder feiern in Krakau mit einer EU-Flagge am Internationalen Kindertag.

»Schön, wieder in Kiew zu sein«, twitterte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstagmorgen. Da war die deutsche Christdemokratin gerade dem Nachtzug entstiegen, der sie und ihre »Kollegen von der Kommission« in die ukrainische Hauptstadt gebracht hatte. Tatsächlich war von der Leyen zusammen mit 15 Kommissionsmitgliedern angereist, die sich im Laufe des Tages mit der ukrainischen Regierung trafen. Für den heutigen Freitag ist dann ein »EU-Ukraine-Gipfel« geplant, an dem Ratspräsident Charles Michel teilnehmen soll.

Auch wenn die Präsidentin betonte, man sei gekommen, »um unsere Unterstützung und Kooperation zu vertiefen«, war doch allen Beteiligten klar, dass die Kommission in Sachen EU-Mitgliedschaft mit leeren Händen kommen würde. Die ukrainische Seite hofft immer noch auf einen baldigen EU-Beitritt, nachdem Brüssel dem kriegszerrütteten Land im Juni 2022 den Kandidatenstatus zugesprochen hatte. Dieser Akt war reine Symbolpolitik. Zumindest in Brüssel wissen das alle Beteiligten. Doch in Kiew hat man damit Hoffnungen geweckt, dass die Ukraine innerhalb weniger Jahre Teil der europäischen Familie werden könnte.

Zwar sprach man am Donnerstag in Kiew auch über den Beitritt, aber bereits im Vorfeld hatte Brüssel klargemacht, dass man sich bei den Gesprächen »auf die wichtigsten Reformen und die nächsten Schritte auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft« konzentrieren wolle. Zudem hatte das Magazin »Politico« am Mittwoch einen Entwurf für die Abschlusserklärung des Treffens veröffentlicht, in dem es unmissverständlich heißt, dass die EU über weitere Schritte erst entscheiden werde, »sobald alle in der Stellungnahme der Kommission genannten Bedingungen vollständig erfüllt sind«. Dazu zählt eine effiziente Korruptionsbekämpfung – auch auf den höchsten Ebenen. Zudem soll der Kampf gegen Geldwäsche intensiviert und das Gesetz gegen den Einfluss von Oligarchen umgesetzt werden.

Ohnehin glaubt in Brüssel niemand, dass das von Krieg, Korruption und wirtschaftlichem Niedergang gebeutelte Land irgendwann die strengen Anforderungen der EU an ein zukünftiges Mitglied erfüllen könnte. Auch wenn Präsident Wolodymyr Selenskyj gerade wieder betonte, dass er Entscheidungen aus Brüssel erwarte, die »den Reformfortschritten der Ukraine entsprechen«, weiß man auch in Kiew, was von den Versprechen der EU zu halten ist. Auf seiner ersten Auslandsreise seit Kriegsbeginn etwa besuchte der Ukrainer im Dezember nur die USA. Zwar traf er auf der Rückreise bei einem Zwischenstopp Polens Staatspräsident Andrzej Duda, ignorierte jedoch Brüssel.

Der wichtigste Waffenlieferant der Ukraine sind die USA. Die größte finanzielle Unterstützung kommt jedoch von der EU. Im laufenden Jahr will die EU rund 18 Milliarden Euro überweisen, damit Kiew Löhne und Renten auszahlen kann. Allerdings wird das Geld nicht verschenkt, sondern in Form von günstigen Krediten gewährt. Damit erhöhen sich die Schulden Kiews noch weiter. Schon jetzt ist unklar, wie das Land seine Verbindlichkeiten bedienen soll. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rechnete am Donnerstag vor, dass »die EU-Hilfen seit Beginn des russischen Krieges 50 Milliarden Euro erreicht haben«.

Ob das Geld tatsächlich bei allen Bedürftigen ankommt, darf bezweifelt werden. Die endemische Korruption, die alle Ebenen des Staates durchdrungen hat, lässt sich auch durch den Krieg nicht stoppen, wie die jüngsten Rücktritte und Verhaftungen von hohen Regierungsvertretern, Beamten und Wirtschaftsbossen zeigen. Am Donnerstag durchsuchten die ukrainischen Behörden zudem Immobilien, die den beiden Oligarchen Dmytro Firtasch und Ihor Kolomojskyj gehören sollen. Das war wohl als Zeichen des guten Willens gemeint und vor allem im Falle Kolomojskyjs bemerkenswert, gilt der Milliardär doch als Ziehvater Selenskijs. Der ukrainische Ökonom und Präsidentenberater Tymofiy Mylovanow sieht sein Land derzeit an »zwei Fronten gleichzeitig kämpfen«: gegen Russland und die Korruption.

Doch die EU unterstützt Kiew nicht nur finanziell, sondern auch militärisch. Bereits jetzt haben EU-Staaten Waffen im Wert von mehr als elf Milliarden Euro geliefert. Hinzu kommen zahlreiche Ausbildungsmissionen für ukrainische Militärs, die die Mitgliedsländer selbst organisieren. Diese sollen noch ausgeweitet werden, wie EU-Vertreter am Mittwoch betonten. Demnach wolle man 30 000 ukrainische Soldaten in EU-Staaten ausbilden statt der bisher geplanten 15 000.

Allen Beteiligten ist klar, dass das mit großem Tamtam angekündigte Treffen ein paar konkrete Ergebnisse bringen muss, die man präsentieren kann. So will man am Freitag ein Abkommen über »Visafreiheit« für ukrainische Industriegüter verkünden. Außerdem unterstützt die EU die Einrichtung eines wie auch immer gearteten Zentrums, das russische Kriegsverbrechen untersuchen soll.

Eine der größten Sorgen der Ukraine ist die sich im Westen breit machende Kriegsmüdigkeit. Während Inflation und hohe Energiepreise in der EU die Stimmung drücken, entwickelt sich der Konflikt im Osten immer mehr zu einem Abnutzungskrieg. Die Verluste auf beiden Seiten sind gewaltig. Auch die Sanktionen gegen Russland zeigen nicht die erhoffte Wirkung. Während EU-Staaten wie Deutschland, das nun von seinem wichtigsten Rohstofflieferanten abgeschnitten ist, in die Rezession rutschen, soll die Wirtschaft Russlands in diesem Jahr sogar wachsen, erwartet der Internationale Währungsfonds.

In Kiew sprach man auch über die mehr als vier Millionen Geflüchteten aus der Ukraine, die sich derzeit in der EU aufhalten und nach dem Temporary Protection Mechanism sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen haben. Hier könnte sich die Situation weiter verschärfen, wenn Russlands brutale Angriffe auf die Energieversorgung immer mehr Menschen außer Landes treiben. Schon jetzt stehen Strom und Fernwärme selbst in der Hauptstadt Kiew nur noch sporadisch zur Verfügung.

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