Laura Süßemilch: Sturz in die Hölle

Ein schwerer Unfall wirft die Radsportlerin aus der Bahn – bei der EM gibt sie jetzt ihr Comeback

  • Thomas Juschus, Frankfurt (Oder)
  • Lesedauer: 4 Min.
Zurück auf dem Rad: Nach ihrem Sturz kann Laura Süßemilch (r.) wieder trainieren.
Zurück auf dem Rad: Nach ihrem Sturz kann Laura Süßemilch (r.) wieder trainieren.

Auf dieses Gefühl musste Laura Süßemilch lange warten. Zuletzt saß sie beim Nations Cup im April 2022 in Glasgow auf ihrem FES-Bahnrad. Am Dienstag dieser Woche konnte die Welt- und Europameisterin in der Mannschaftsverfolgung von 2021 dann endlich wieder einige Runden mit ihrem Sportgerät auf der 250-Meter-Bahn in Frankfurt (Oder) drehen. 

Anfangs noch ein klein wenig unsicher, später im Training zusammen mit Olympiasiegerin Franziska Brauße & Co fast schon wieder so, als sei nichts gewesen. »Ich hatte erst ein bisschen Respekt, weil ich ja schon sehr dicht an das Hinterrad meiner Vorderfrau fahre. Es hat ein, zwei Einheiten gebraucht, aber dann habe ich meine Position wiedergefunden«, berichtet Laura Süßemilch. Zwischen dem Sieg damals in Schottland und der Rückkehr auf die Piste in der Brandenburger Provinz erlebte die 25-Jährige die schwerste Zeit ihres Lebens.

»Die letzten Tage bin ich durch die Hölle gegangen. Gott sei Dank, dass ich noch lebe und in ein paar Wochen wieder 100 % gesund werde. Ich werde stärker zurückkommen!« So lautet ein Instagram-Post von Laura Süßemilch vom 1. August 2022 auf ihrem Profil (lorietta_97). Knapp eine Woche zuvor war die junge Frau in einen der schwersten Unfälle der jüngeren Vergangenheit im Frauen-Radsport verwickelt. Auf der zweiten Etappe der Tour de France Femmes, der wiederbelebten Frankreich-Rundfahrt der Frauen, geht Süßemilch bei etwa 60 km/h zu Boden. Und steht nicht mehr auf. »Als ich auf der Straße lag, wusste ich sofort, da ist was gebrochen«, erzählt sie später. Sie soll recht behalten. Die niederschmetternde Diagnose: Ein Bruch im Hinterkopf, ein gebrochener Hals- und zwei gebrochene Brustwirbel, dazu eine angeknackste Rippe.

An Radfahren, geschweige denn an Wettkämpfe auf der Straße oder Bahn, ist danach erst einmal nicht mehr zu denken. Dabei hat sich die aus Zollenreute bei Ravensburg stammende Radsportlerin gerade beharrlich in die deutsche und internationale Spitze vorgearbeitet. 2021 schafft Süßemilch den Sprung als Ersatzfahrerin in den Olympia-Kader. Als in Izu Lisa Brennauer, Lisa Klein, Mieke Kröger und Franziska Brauße triumphierend gegen Großbritannien zu Gold in der Mannschaftsverfolgung rasen, ist Süßemilch zwar schon wieder zu Hause, doch bei der EM in Grenchen und der WM in Roubaix schlägt ihre Stunde. Zweimal Gold und später die Auszeichnung als »Mannschaft des Jahres« sind ihr verdienter Lohn. 

2022 knüpft Süßemilch mit dem Sieg beim Nations Cup in Glasgow an ihre Leistungen an, fährt zudem mit dem belgischen Team Plantur-Pura (heute Fenix-Deceuninck) ein ambitioniertes Straßen-Programm – und legt nach ihrem schweren Sturz karrieretechnisch quasi eine Vollbremsung hin. »Ich hatte sehr, sehr viel Unterstützung von meinem Umfeld, die mir wieder aufgeholfen haben. Ich war keinen einzigen Tag im Krankenhaus alleine. Da waren alle für mich da – das weiß ich sehr zu schätzen«, erinnert sich Süßemilch. »Es stand auch nie für mich zur Wahl, dass ich aufhöre. Es war immer klar, dass ich es wieder probiere.«

Nach fast drei Monaten Sportverbot darf Laura Süßemilch Mitte Oktober 2022 auf das Rennrad zurückkehren. Die Fraktur am Kopf ist da bereits verheilt und nicht mehr zu sehen. Lediglich die Muskulatur am Hals braucht nach drei Monaten Tragen einer Halskrause etwas mehr Training. »Ich hatte zu Beginn nicht die komplette Bewegungsfreiheit, es fiel mir sehr schwer, meinen Kopf nach rechts und links zu drehen. Ich mache noch immer sehr viele Übungen für meinen Nacken und merke, wie die Muskulatur und Stabilität zurückkommen«, berichtet Süßemilch.

Die Bahnrad-Europameisterschaft kommende Woche im schweizerischen Grenchen (8. bis 12. Februar) wird der erste Wettkampf seit dem Sturz im vergangenen Sommer sein. Geplant ist der Einsatz in der Mannschaftsverfolgung, eventuell gibt es auch einen Einzelstart der 25-jährigen Radsportlerin. Im November, Dezember und Januar hat Süßemilch mit ihrem Team und der Nationalmannschaft reichlich Trainingskilometer gesammelt. »Wahrscheinlich hat es dem Körper auch gutgetan, mal eine längere Ruhephase zu haben. Aktuell geht es mir sehr gut, ich bin sehr zufrieden mit den Fortschritten, die ich gemacht habe. Von der Form her passt es auch ganz gut, ich habe im Trainingslager auf Mallorca einige Bestwerte aufgestellt«, sagt Laura Süßemilch.

Die physischen Auswirkungen ihres Horror-Crashs in Frankreich hat Laura Süßemilch also nahezu vollständig bewältigt. Auch wenn sie deshalb zuversichtlich in die Zukunft blickt, bleiben die psychischen Folgen. Daran arbeitet sie auch mit einer Mental-Trainerin. »Ich habe mich seit dem Unfall sehr verändert. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ängstlicher bin, aber ich schätze seit meinem Unfall das Leben mehr und denke ganz anders über viele Dinge«, sagt die 25-Jährige, für die sich der 22. Juli 2022 im Gedächtnis eingebrannt hat: »Mein Unfall hätte auch anders ausgehen können.«

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