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Das Schwimmbad über der Stadt

Unsere nd-Kolumnistin besucht eine Schwimmhalle auf dem Kuhberg im tschechischen Brno

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem Kuhberg liegt ein Schwimmbad, von dem man über die tschechische Stadt Brno blicken kann.
Auf dem Kuhberg liegt ein Schwimmbad, von dem man über die tschechische Stadt Brno blicken kann.

Brno, Mai 2017. Den ganzen Monat darf ich in der deutsch Brünn genannten Stadt verbringen. Mit einer Schauspielerin und einem bildenden Künstler sind wir zum Festival Meeting Brno geladen, das seit 2015 um den Jahrestag des Todesmarsches der deutschen Brünner herum ein internationales Kulturprogramm bietet. Als ich den Zug Berlin-Wien verlasse, ist der Platz vor dem Bahnhof abgesperrt, Neonazis haben die 1.-Mai-Demonstration gestört. Während ich mein Gepäck in die Straßenbahn hieve, knipst irgendwo in der Stadt ein Fotograf die 16-jährige Lucie Myslíková in Pfadfinderuniform, die sich einem Neonazi entgegenstellt. Seifenblasen wabern durch das Bild.

Über Wasser
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Konzentriert in einem fußläufigen Zentrum mit riesigen Parks strahlt die Stadt vielfältige Kultur, gepflegte Architektur und immense Gastfreundschaft aus. Brno pulsiert, Tausende junger Studenten prägen das Stadtbild. Die Museen, Theater, Galerien und Kneipen sind voller Menschen, manche bis in die Morgenstunden. Ich laufe tagelang herum, wandere zum nahen Steinbruch, besuche Labyrinthe und Bunker mit Schädel- oder Waffensammlungen, das alte und das neue Fußball-Stadion und die Museen. Sehe moderne und klassische Kunst, besichtige das detailreiche Museum der Roma-Kultur, die Festung Spielberg (mit Puppen als Gefangenen) und den Pavilon Anthropos mit seinen Nachbildungen berühmter Höhlenmalereien und einer Mammutfamilie.

In Brno gibt es viele Schwimmbäder, ein Flussbad und einen Stausee, alles per Straßenbahn oder Trolleybus zu erreichen. Mein Lieblings-Schwimmbad liegt auf einem Hügel in der Nähe meiner Pension, durch das Panoramafenster der Halle sehe ich die Festung, den Steinbruch und die gelben Rapsfelder hinter den Neubaugebieten. Jeden zweiten Tag erklimme ich den Kuhberg mit seinen Sportanlagen und zugehöriger Gaststätte und bekomme für 2,61 Euro oft eine 25-Meter-Bahn allein. Den Whirlpool, Massagestrahler und Dampfsauna obenauf, über Mittag mit nur einer Handvoll Rentner zu teilen. Über uns spannen sich riesige Holzspangen, zwei Außenwände sind verglast. Das Café läuft als Galerie oben durch die Halle, Blick auf das leere Außenbecken, die Stadt und blühenden Flieder.

Brno wurde nie zerstört und war stets modern. Das zehntägige Festival erinnert daran, wie vielfältig diese Moderne war – bis nach 1945 die deutsche Bevölkerung vertrieben wurde. Jüdische, kommunistische und andere missliebige Mitbürger waren zuvor bereits in KZs gesteckt worden, unter dem Beifall der deutschen Bevölkerung. Eine schwierige Geschichte und ein langer Anlauf, die Gräben zuzuschütten. Die Stadt Brno entschuldigte sich 2015 für die Vertreibung der Deutschen und beteiligt sich aktiv am Festival Meeting Brno, dessen Mitbegründerin die Schriftstellerin Kateřina Tučková ist. Sie stieß durch ihren ersten Roman die Versöhnung an.

Das bei allen Besuchern beliebte Unesco-Weltkulturerbe-Bauwerk Brnos, die Villa Tugendhat des Architekten Ludwig Mies van der Rohe, gehört zu dieser Geschichte. Die Fabrikantenfamilie Tugendhat überlebte die Nazizeit, sie konnte rechtzeitig emigrieren. Zum Festival lädt die Stadt 2017 mehr als 100 weltweit verstreut lebende Nachkommen der Familien Löw-Beer und Tugendhat ein – sie bereichern es, berichten und verzichten weiter auf ihr enteignetes Eigentum.

Auf dem Rückweg vom Bad komme ich an Baseballplatz und Hundewiese vorbei, setze mich ins Gras und lese. Der Flieder duftet und ein Papagei kreischt von der Sportgaststätte herüber: »Ahoi, Ahoi!«

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