Missstände bei Misswahlen

In »Señorita 89« treten 31 Schönheitsköniginnen Mexikos gegeneinander an

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Zur Schau gestellt, lüsternen Männerblicken ausgeliefert
Zur Schau gestellt, lüsternen Männerblicken ausgeliefert

Was Schönheit ist, darauf gibt es je nach Ort und Zeit verschiedene Antworten. Die feministische Geschichtsstudentin Elena hätte da allerdings eine von fristloser Allgemeingültigkeit: »Schönheit ist ein Produkt Ihres Blickes«, wirft sie ihrem Professor und einigen seiner Kollegen während eines Referats an den Kopf. Sie klagt männliche Machtdemonstrationen an, die weibliche Attraktivität zur »Fata Morgana« mache und als trügerische Wahrheit verkaufe, die nur einer Seite zugutekommt. Welche sie dabei im Sinn hat, steht außer Zweifel. Das verrät bereits Elenas kämpferischer Tonfall.

Wie gut für die angehende Historikerin, dass ihr Dozent die Provokation nicht als Affront, sondern als Ansporn betrachtet und seine Hochschülerin auf eine Mission der ungewöhnlichen Art schickt: Elena reist in den Dschungel, um die Schönheitsköniginnen der 32 Bundesstaaten ihrer mexikanischen Heimat kulturell zu formen – oder wie es die erfrischend normale Frau unter lauter Kunstfiguren ausdrückt: Während eine Armada meist männlicher Profis die Kandidatinnen von außen poliert, »poliere ich sie von innen«.

So weit die glitzernd-graue Theorie. In der Praxis einer Fernsehfiktion jedoch, über die beim mittelamerikanischen Starzplay-Debüt vor einem Jahr heiß diskutiert wurde, hat Elenas Kulturpolitur gegen den – meist männlichen – Blick wenig Chancen. Das zeigt sich bereits am Anfang von »Señorita 89«, als ihre Fortbildungssubjekte zur Fleischbeschau vor Mexikos Upperclass kutschiert werden. Kurz nachdem sie auf einer Showtreppe um die Wette strahlen, stürzt sich eine der jungen Frauen bildgewaltig in den Tod. Der unbarmherzige Wettkampf aber geht unter der Ägide der sonderbar sanftmütigen Wahlleiterin Cónception (Ilse Salas) weiter. The show must go on.

Anschließend werden die nunmehr nur noch 31 Damen in einem Luxus-Resort fernab der Zivilisation auf die nationale Endausscheidung vorbereitet. Das Trainingslager erweist sich als militärisch bewachtes Bootcamp der Makellosigkeit wie Grausamkeit. Ausbildungsleiterin Licha (Mónica del Carmen) führt ein strenges Regiment, das einer gezielten Zurichtung oder besser: Züchtigung dienen soll. Die Teilnehmerinnen ordnen sich diesem bereitwillig unter – schließlich verheißt die Krone einer Schönheitskönigin für sie einen Ausweg, den scheinbar einzigen, aus Armut und Elend.

In jeweils einem Prinzessinnenporträt pro Folge von Miss Guerrero Dolores (Bárbara López) über Miss Chihuahua Jocelyn (Leidi Guitiérrez) bis hin zu Miss Oaxata Angeles (Coty Camacho) wird der Wahn solcher Wettbewerbe als ein Ausbeutungssystem unter vielen im kapitalistischen Ausbeutungssystem entlarvt. Und darin ist Luciá Puenzo versiert. Sie hat sich weltweit bereits einen Ruf mit ihren sozialkritischen Diversitätsstudien wie »XXY« oder »Das Fischkind« erworben. Dass die Handlung ihres neuen Films Ende der 80er Jahre spielt, macht diesen nicht minder aktuell. Damals wie heute werden Supergirls kreiert.

Zu schade, dass die kreativ Verantwortliche vom Feuilleton parallel auf den blau- und rotlichtblinkenden Boulevard abbiegt. Anstatt sich mit einer Milieustudie der damaligen koks- und konsumbefeuerten Selbstoptimierungsgesellschaft zu begnügen, verpasst Luciá Puenzo dem Drehbuch nämlich spätestens am Ende der zweiten Folge drei Extraportionen Thriller, indem sie in ihre Geschichte noch organisierte Kriminalität am Rande des Erträglichen strickt, darunter allzu sichtbare Vergewaltigungsszenen.

Ebenso schade ist es, dass die Ausgangserzählung – eine Systemfalle, in der sich Frauen in mexikanischen Nähfabriken befinden und der sie scheinbar nur als Mannequins oder Drogensüchtige entfliehen können – am Ende selbst der Verlockung erliegt. Die Protagonistinnen schwelgen in ihrem Liebreiz. Unter der Leitung des chilenischen Filmemachers Pablo Larrain (»Jackie«) zoomen die Kameras ständig lüstern auf knapp bekleidete Astralleiber im Sonnenschein, als führte Heidi Klum Regie. Und so verliert sich dieses eigentlich hochinteressante Sittengemälde letztlich in der Oberflächlichkeit, oft in einer Mischung aus »Miami Vice« und »Squid Game«.

Daran kann auch die unprätentiöse Erzählerin Elena (Ximena Romo) nur wenig ändern – zumal sie in der deutschen Übersetzung zwei, drei Oktaven auf sexualisiertes Lolita-Niveau hochsynchronisiert wurde. Dass Männer, selbst in einer Klischeefalle, meist nur Nebenrollen als Voyeure, Schläger, Wachleute oder Schmierlappen innehaben, während Cónception und Licha den schauspielerisch ertragreicheren Part übernehmen, verblüfft da umso mehr – und macht die Serie am Ende doch noch zum sehenswerten Statement gegen das Konstrukt weiblicher Schönheit unter männlichem Blick.

»Señorita 89«, Magenta TV

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