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Milliarden investieren statt Hunderte Kliniken schließen

Die von Gesundheitsminister Lauterbach geplante Krankenhausreform könnte zu massivem Kliniksterben führen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Reaktionen auf das von der Regierungskommission vorgelegte Konzept für eine bundesdeutsche Krankenhausreform waren am Montagnachmittag deutlich: Zweifel, sogar Empörung herrschen angesichts der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützten Pläne, unter der Vorgabe der Qualitätssicherung und Entlastung der Notfallmedizin einen umfassenden Strukturumbau der Krankenhauslandschaft zu initiieren. Anfang Dezember war das Vorhaben angekündigt worden. Weil es an konkreten Vorstellungen bislang fehlte, hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Pläne vom Institute for Health Care Business (HBC) durchspielen lassen und nun eine entsprechende Auswertung vorgestellt.

Ihre Analyse der Auswirkungen der geplanten Krankenhausreform für die knapp 1700 Krankenhäuser in Deutschland, käme das Konzept in der jetzigen Form zur Anwendung, hat vielerorts eine Art Schock ausgelöst. Denn das Ziel der Entlastung und die Abkehr von finanziellen Aspekten des mit der letzten Reform Anfang der 1990er Jahre verbundenen Umbaus der Versorger zu auf Profitabilität ausgerichteten Klinikbetrieben würde demnach mit harten Einschnitten einhergehen. Es steht im Raum, dass das Ziel, die gute Versorgung wieder in den Vordergrund zu rücken, damit maximal verfehlt würde.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, alle Krankenhäuser bestimmten Versorgungsleveln zuzuordnen: vom Level 1i für Grundversorger, in denen ambulante Leistungen erbracht werden, bis zum Level 3 für Maximalversorger. Von den 1697 Krankenhausstandorten würden 150 dem Level 3 der Maximalversorgung zugeordnet werden. 82 Standorte würden unter Level 2 der Schwerpunktversorgung fallen, 834 dem Level 1n der Grundversorgung mit Notaufnahme und 416 dem Level 1i der Grundversorgung mit ambulanten Leistungen. 215 Standorte würden keinem dieser Versorgungslevel zugeordnet werden. Die mit dieser Neuordnung verbundenen Verschiebungen wären sehr groß, sagt Boris Augurzky vom HBC-Institut, der auch Mitglied der Regierungskommission ist.

Was die damit verbundenen Schließungen und Umstrukturierungen zum Beispiel für die Kliniklandschaft der Hauptstadt bedeuten würden, erklären die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) gemeinsam mit der Berliner Gesundheitsverwaltung: »Die Anzahl der Kliniken würde sich von 60 auf sieben stationäre Standorte reduzieren. Statt 18 Standorten für Geburtshilfe wären noch sieben Standorte erhalten, sodass 54 Prozent der Patientinnen nicht mehr versorgt wären; in der Neurologie würden statt 14 noch sechs Standorte bleiben, die Versorgung für etwa 50 Prozent der Patienten*innen wäre damit ungeklärt.« Und so geht es weiter fort: die Hälfte der urologischen Standorte fiele weg, zwei Drittel der kardiologischen.

Laut der Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) bildet die Reform »die unterschiedlichen Situationen in Flächenländern, Metropolregionen und Ballungszentren derzeit nicht ausreichend ab«. Versorgungsentscheidungen müssten auch weiterhin vor dem Hintergrund regionaler Gegebenheiten getroffen werden können. Lauterbach hätte die Vorstellungen »erst einmal auf ihre Praktikabilität und Umsetzbarkeit« mit den Ländern zurückspiegeln müssen. Sie gehe aber davon aus, dass das Gesundheitsministerium »diese teils dramatischen Prognosen entsprechend ernst nimmt und berücksichtigt«.

Zwar wünschen sich Verbände wie Versorgungsträger auch eine Reform. Allerdings muss diese andere Voraussetzungen erfüllen: Finanzstarke Strukturfonds, die Einführung von Vorhaltefinanzierung, eine Offensive hin zu klinisch-ambulanter Patientenbehandlung und die Entwicklung medizinisch-pflegerischer Versorgungszentren sehen BKG und auch DKG als naheliegende Schritte. Nach wie vor kämpfen die Standorte vor allem mit finanzieller Unterversorgung und dem Mangel an Personal.

»Wir wollen einen gemeinsamen Reformprozess«, so Gerhard Gaß, Leiter der DKG-Geschäftsstelle. Aufgrund der großen regionalen Unterschiede in der Versorgungslandschaft könnten nur die einzelnen Bundesländer angemessen entscheiden, in welcher Form der Umbau sinnvoll sei. Man wolle die Reform nicht torpedieren, sondern habe ein großes Interesse daran, dass sie gelingt, »aber im Sinne der Patient*innen und der Beschäftigten«, so Gaß. Der DKG-Sprecher wird im Zusammenhang mit den in seinen Augen benötigten finanziellen Mitteln ganz praktisch: »Hätten wir 100 Milliarden Euro, wie sie für die Bundeswehr in Aussicht gestellt wurden, wir könnten uns vor Engagement zur Veränderung kaum retten.«

Boris Augurzky als Vertreter der Regierungskommission gibt sich erklärtermaßen gelassen. Der Reformvorschlag erlaube durchaus Abweichungen von den streng erscheinenden Vorgaben. Vieles sei noch nicht fest definiert.

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