Helsinki erwägt Alleingang

Ein gemeinsamer Beitritt mit Schweden ist für Finnland und die Nato nicht länger Bedingung

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.

In Helsinki ist gerade deutsche Woche: Erst besuchte am Montag Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) Helsinki und traf sich mit ihrem finnischen Amtskollegen Pekka Haavisto und mit Präsident Sauli Niinistö, bevor sie am Dienstag weiter nach Stockholm reiste. Am Mittwoch beehrte auf Einladung Finanzminister Christian Lindner (FDP) die finnische Hauptstadt, um mit seiner Amtskollegin Annika Saarikko und dem Chef der Bank von Finnland, Olli Rehn, die ökonomische Situation in Europa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zu erörtern. Der Besuch soll den nordischen Ländern politische Rückendeckung für ihren Weg in die Nato geben und auch deutliche Signale in Richtung Türkei senden, die mit einem Veto droht.

Besondere Aufmerksamkeit fand Baerbocks Besuch einer Zivilschutzanlage im Helsinkier Stadtteil Merihaka. Bunker für den Bevölkerungsschutz sind in Finnland seit dem Zweiten Weltkrieg weitverbreitet. In Friedenszeiten werden diese als Schwimmhallen oder z.B. für Indoor-Hockey und anderen Sport benutzt. Sie bieten im Ernstfall faktisch allen Einwohnern Finnlands Schutz. In der Nato und bei anderen europäischen Partnern wird Finnlands Resilienz und der Katastrophenschutz bewundert. Nach einem Strategiepapier des finnischen Think Tanks Ulkopoliittinen instituutti (Außenpolitisches Institut) vom Juli letzten Jahres könnten der Zivilschutz oder die arktische Kriegsführung besondere Kompetenzen Finnlands im Nordatlantikpakt werden. Momentan scheint ein schneller Beitritt, besonders Schwedens, schwieriger als gedacht zu sein. Zwar haben bisher 28 Länder den Beitritt in Rekordzeit ratifiziert, Ungarn und die Türkei zögern eine Entscheidung aber hinaus.

Nach einer Umfrage der Zeitung »Helsingin Sanomat« vom Dienstag sind 46 Prozent der Finnen der Auffassung, ihr Land solle gegebenenfalls auch ohne Schweden der Nato beitreten. 38 Prozent der Befragten waren der Auffassung, dass Finnland auf seinen westlichen Nachbarn warten und nur mit ihm gemeinsam dem Bündnis beitreten solle. Besonders auf der Rechten und bei Besserverdienenden ist die Zustimmung für einen Alleingang hoch, Anhänger der linken Partei Vasemmistoliitto (Linksbündnis) sind hingegen mehrheitlich gegen einen solchen Schritt.

Auch der norwegische Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte am Dienstag unterstrichen, dass ein gleichzeitiger Beitritt der beiden Länder nicht das Wichtigste sei, sondern der Fakt, dass beide möglichst bald Mitglieder werden. Für das Militärbündnis ist Finnland mit seiner 1340 Kilometer langen Landgrenze zu Russland und einer der bestausgestatteten Artillerien Europas von größerer strategischer Bedeutung als Schweden.

Finnlands Außenminister Pekka Haavisto (Grüne) hatte sich noch in der vergangenen Woche auf einer Podiumsdiskussion in Helsinki optimistisch hinsichtlich eines schnellen Natobeitritts geäußert. Haavisto erklärte, er glaube, dass bis zum Nato-Gipfel in Litauens Hauptstadt Vilnius im Juli sowohl Schwedens als auch Finnlands Beitritt unter Dach und Fach sei: »Meiner Meinung nach sind alle Elemente auf dem Tisch, es braucht nur noch ein wenig Diplomatie.«

Finnland und Schweden hatten im Juni 2022 mit der Türkei ein trilaterales Memorandum unterzeichnet und sich unter anderem verpflichtet, künftig nicht mehr die kurdischen Organisationen YPG und YPJ zu unterstützen. Damit sollte die Blockadehaltung des türkischen Präsidenten Recip Erdoğan gelockert werden. Im Dezember verbot die Polizei in Helsinki auf einer Kundgebung erstmals Fahnen von kurdischen Parteien.

Ein Beitritt ohne Schweden wäre für Finnland eine komplexe Angelegenheit. Die Streitkräfte beider Länder sind eng verzahnt. Diese enge Zusammenarbeit zeigte sich zuletzt auch im Zusammenhang mit militärischen Hilfen für die Ukraine. Ende Januar hatte Finnland das bisher größte Paket beschlossen. Schwere Waffen und Munition im Wert von knapp 400 Millionen Euro werden dabei an die Ukraine gesendet – mehr als doppelt so viel wie alle vorherigen Lieferungen zusammen. Genaue Angaben zum Inhalt des Pakets wurden auch diesmal nicht gemacht – aus taktischen Gründen.

Das finnische Verteidigungsministerium unterstrich aber, dass eine so umfangreiche Lieferung nur durch die enge Zusammenarbeit mit Schweden möglich sei. Abgegebene Waffen und Munition könnten im Bedarfsfall aus dem Nachbarland schnell nachgeliefert werden.

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