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Liebe, Verbrechen und andere Klassengegensätze: Der Noir-Thriller »Sharper« erzählt von einem komplexen Betrugsfall in New York

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Klassengegensätze werden zur Scharade
Klassengegensätze werden zur Scharade

Nichts ist in dem starbesetzten Neo-Noir-Thriller »Sharper« so, wie es im ersten Moment den Anschein hat. Der sympathische Buchhändler Tom (Justice Smith) aus Manhattan und die junge Sandra (Briana Middleton), die gerade ihre Doktorarbeit über Schwarze feministische Literatur in den USA schreibt, lernen sich kennen und verlieben sich bilderbuchartig. Sie gehen essen, begeistern sich gemeinsam für Literatur und lassen sich sehr schnell auf eine romantische Beziehung ein, bis plötzlich das unausweichliche Drama im wahrsten Sinn des Wortes eines Nachts an die Tür klopft: Es ist Sandras Bruder, der angeblich mit dem Tod bedroht wird und dringend viel Geld braucht.

Kein Problem, Buchhändler Tom kommt aus reichem Hause und hilft gerne aus. Auch wenn das Verhältnis zu seinem milliardenschweren Vater Richard (John Lithgow) aus der Finanzindustrie seit dem Tod der Mutter eher schwierig ist. Und mit seiner umtriebigen Stiefmutter Madeline (Julianne Moore) versteht er sich auch nicht gerade gut. Die wiederum liegt im komplizierten Dauerclinch mit ihrem alkohol- und drogenabhängigen Sohn Max (Sebastian Stan), der jede Menge Rabatz im Nobel-Apartment veranstaltet. Aber was wie eine allzu vorhersehbare Liebesgeschichte beginnt, nimmt plötzlich eine sehr verblüffende Wendung.

Regisseur Benjamin Caron, der bisher im Serienbereich unter anderem Episoden für »The Crown« und »Andor« drehte, webt in seinem Debütfilm in einer nicht linearen Erzählweise ein komplexes dramaturgisches Netz um seine Figuren. Im Zentrum steht ein Betrugsfall, der bei den Beteiligten viel Vertrauen zerstört, Beziehungen hart auf die Probe stellt und auch brutal beendet. Von diesem Ereignis aus fächert der Film biografische Ausschnitte der einzelnen Protagonisten auf, die jedes Mal neue Überraschungen ans Licht bringen.

Dieses Erzählen läuft zu Beginn des Films quasi rückwärts und legt so sukzessive Teile der Vergangenheit einzelner Figuren frei. Nach der romantischen bildungsbürgerlichen Lovestory und dem Upperclass-Drama geht es plötzlich um Haftstrafen und Drogenkarrieren, um Bewährungsauflagen, um geschickte kleinere Betrügereien, aber auch um erfundene Lebensläufe, um bei den oberen Zehntausend oder im bildungsbürgerlichen Milieu über den entsprechenden kulturellen und sozialen Habitus zu verfügen. Insofern erzählt »Sharper« auch viel von Klassengegensätzen, die mittels Scharade und betrügerischer Praktiken genutzt oder umgangen werden.

Es ist ist ein atmosphärisch ungemein dicht erzählter zweistündiger Thriller, in dem es nicht um spektakuläre Raubzüge oder technisch komplizierte und lang geplante Einbrüche geht, sondern darum, wie sich Betrüger mit Dreistigkeit und Empathie in die Lebensläufe reicher Menschen einschleichen und ihnen geschickt ihr Geld abknöpfen. Und es geht dabei um Milliarden. Das alles passiert mit einem wahren Zickzack-Spannungsbogen und überaus beeindruckenden Bildern von New York, das ebenso als glitzernde Metropole wie auch als großstädtischer Moloch mit den dazugehörigen sozialen Unterschieden inszeniert wird.

Dabei verliert sich der Film nicht in einer werbekompatiblen Ästhetik des Big Apple, wie das bei vielen New York-Filmen passiert. Vielmehr treiben jedes Bild und jede Kamerafahrt die flotte Handlung weiter mit voran, die immer wieder bis zum Schluss mit überraschenden Wendungen aufwartet und die Zuschauer unter Spannung setzt. Dabei geht es zwar eigentlich um Kriminelle, die den Menschen mit viel Geld etwas wegnehmen wollen. Aber »Sharper« zeigt die ganze Widersprüchlichkeit der einzelnen Figuren. Denn mitunter scheint es nur eine hauchdünne Linie zwischen dem professionellen Betrug und dem völligen Aufgehen in einer Rolle zu geben. Oder versteckt sich dahinter dann auch nur wieder ein weiterer Kniff, um sich Hunderttausende oder sogar Milliarden von Dollar unter den Nagel zu reißen?

Bei so viel Jagd nach Geld und Reichtum dürfte die größte Überraschung sein, dass dann letztlich Zuneigung und Solidarität für das eine oder andere Schicksal der sich gegenseitig stets misstrauisch beäugenden Figuren den Ausschlag geben. Insofern bietet der Film keine genretypische, von Gier getriebene Rififi-Dramatik, bei der am Ende der eine oder andere sympathisch rüberkommende vermeintliche Bösewicht unglaublich reich wird und sich absetzt. In »Sharper« geht es vielmehr um die persönlichen und psychologischen Abgründe der einzelnen Figuren, wie sie zueinander stehen, sich belauern, gegeneinander kämpfen, Bündnisse schmieden, sich gegenseitig betrügen und am Ende auf die Nase fallen oder aus ihrem Dilemma ausbrechen. Dabei lebt dieser Film vor allem auch von dem großartigen Schauspieler-Ensemble, sodass dieser stimmungsvoll inszenierte Thriller nicht nur spannende Unterhaltung bietet, sondern auch unter die Haut geht.

»Sharper« – ab 17.2. auf Apple TV

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