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»Man muss etwas tun, noch heute«

Vor 80 Jahren wurden die Geschwister Hans und Sophie Scholl ermordet

  • Pia Sophie Roy
  • Lesedauer: 5 Min.
Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst (v.l.n.r.)
Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst (v.l.n.r.)

Sie hätten sich gefreut, wenn sie dies noch hätten miterleben können: das erste und einzige öffentlich-zivile Aufbegehren gegen das Naziregime. Nachdem in mehreren deutschen Städten am 26. und 27. Februar 1943 nunmehr auch Juden aus »Mischehen«, »jüdische Mischlinge« und »Geltungsjuden«, so der NS-Jargon, in ihren Wohnungen oder an ihren Zwangsarbeitsplätzen verhaftet und zur Deportation in »Sammellager« gebracht worden waren, zogen Tausende Familienangehörige vor eben jene, um die Herausgabe ihrer Liebsten zu fordern. Sie ließen sich nicht von der Schutzpolizei verjagen – und hatten Erfolg. Bekannt ist vor allem der Protest von vornehmlich Frauen und Kindern in der Berliner Rosenstraße, vor dem einstigen Domizil des Wohlfahrtsamts der Jüdischen Gemeinde, wo etwa 2000 Menschen zum Abtransport in die Ghettos oder Vernichtungslager im Osten zusammengepfercht worden waren.

Es war vor allem auch der Massenmord an den Juden, der die Geschwister Hans und Sophie Scholl sowie deren Freunde in den Widerstand gegen das Naziregime getrieben hatte. Als sie am 18. Februar 1943 Flugblätter in den Lichthof der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität flattern ließen, wurden sie vom Hausmeister bemerkt und denunziert. An diesem Tag hielt im hunderte Kilometer entfernten Berlin NS-Propagandaminister Goebbels seine berüchtigte »Sportpalast-Rede«, in der er den »totalen Krieg« ausrief.

Für Hans und Sophie Scholl, die wohlbehütet in einem christlich-pazifistischen Elternhaus aufgewuchsen, war der »im Namen des deutschen Volkes« für »Lebensraum« und Weltherrschaft der »arischen Herrenrasse« geführte Eroberungs- und Vernichtungskrieg unerträglich. Bereits am 5. September 1939, vier Tage nach dem Überfall auf Polen, schrieb Sophie in einem Brief an ihren in die Wehrmacht eingezogenen Freund Fritz Hartnagel: »Ich kann es nicht begreifen, dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist fürs Vaterland.«

Dabei waren Hans und Sophie, zwei der sechs Kinder von Robert und Lina Scholl, zum Leidwesen ihrer Eltern zunächst durchaus der NS-Ideologie zugetan. Hans, der als 14-Jähriger in seinem Kinderzimmer ein Porträt von Hitler hängen hatte, trat der HJ bei, wurde zu einem Reichsparteitag delegiert, wo er dem »Führer« begegnete und begeistert war. Sophie schloss sich den »Jungmädels« an und stieg zur »Scharführerin« im BDM auf. 1937 wurde Rekrut Hans erstmals verhaftet, wegen »bündischer Umtriebe«. Auch seine Geschwister Inge, Werner und Sophie wurden kurzfristig festgenommen. Nach dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland im März 1938 schrieb Hans: »Bei uns wird ja ordentlich mit dem Säbel gerasselt … Ich verstehe die Menschen nicht mehr. Wenn ich durch den Rundfunk diese namenlose Begeisterung höre, möchte ich hinausgehen auf eine große einsame Ebene und dort allein sein.«

Auch die perfide Massenmanipulation der Nazis für ihre verbrecherischen Ziele stieß die Geschwister ab. Der Medizinstudent Hans sammelte gleichgesinnte Kommilitonen um sich, darunter Alexander Schmorell, »mein bester Freund, ein Russe«. Im Sommer 1942 tauchten in München die ersten Flugblätter gegen den »unersättlichen Dämon« (Hitler) und die »Diktatur des Bösen« auf, signiert mit »Weiße Rose«, verfasst zunächst nur von Hans und Alexander. Die Biologie- und Philosophiestudentin Sophie stieß später dazu. Zu den abendlichen Gesprächskreisen der Studenten gesellte sich der Psychologe und Musikwissenschaftler Kurt Huber, außerordentlicher Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität, der ebenfalls überzeugt war: »Man muss etwas tun, und zwar noch heute.«

Ihnen war nur eine kurze Zeit des Widerstands beschieden, andere standen seit dem 30. Januar 1933 in aktiver Opposition zu den braunen Machthabern. Das macht das Aufbegehren der Geschwister Scholl und ihrer Freunde gegen eine unmenschliche, barbarische Diktatur, teuer mit dem Leben bezahlt, nicht kleiner.

Am 22. Februar 1943 wird um 10 Uhr der Prozess gegen Hans Fritz Scholl, Sophia Magdalena Scholl und Christof Hermann Probst im Münchener Justizpalast eröffnet. Der Präsident des »Volksgerichtshofs« Roland Freisler tobt, wettert, brüllt. Um 12.45 Uhr werden die Todesurteile »im Namen des deutschen Volkes« verhängt. Um 17 Uhr sterben die drei Freunde im Münchener Gefängnis Stadelheim unterm Fallbeil. Hans Scholl, 24 Jahre jung, soll kurz vor seinem Tod noch ausgerufen haben: »Es lebe die Freiheit.« In den letzten Notizen von Sophie, 21, heißt es: »So ein herrlicher Tag und ich soll gehen.« Zugleich ist sie sich gewiss, dass ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein wird, »wenn wir es damit schaffen, Tausende Menschen aufzurütteln und wachzurütteln«. Am 13. Juli 1943 werden ebenfalls in Stadelheim Alexander Schmorell und Kurt Huber ermordet.

Zahlreich sind inzwischen die Bücher, Filme, Ausstellungen über Hans und Sophie Scholl. Ihre Namen sind Spitzenreiter bei Schulbenennungen in der Bundesrepublik, vor Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe. Erfreulich ist auch, dass laut einer diese Woche vorgestellten Studie Jugendliche hierzulande zunehmend Interesse an der Aufklärung über Naziverbrechen zeigen und Orte des Terrors aufsuchen; zugleich bekundet jedoch die Mehrheit, über wenig solide Kenntnisse zu verfügen. Es ist also noch viel zu tun. Zumal, wie am 6. Februar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Gedächtnisvorlesung für die Mitglieder der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« in der Münchener Alma mater bemerkte, die Demokratie in Deutschland »in den vergangenen Jahren stärker unter Druck geraten« ist. Weshalb sichergestellt werden muss, dass es »Verfassungsgegnern nicht noch einmal gelingen kann, die Demokratie im Innersten anzugreifen«. Dazu ist Wissen auch über die gesamte Bandbreite des Widerstands gegen Hitler und Konsorten nötig.

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