Ukraine-Krieg: Linker Sonderparteitag nötig

Warum ein Sonderparteitag zur Friedensfrage für einen Neuanfang in der Linken sorgen sollte

  • Michael Brie
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Vorstand der Partei Die Linke gibt sich die größte Mühe, den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, dass diese Partei nicht gebraucht wird. In einem Augenblick, da 575 000 Menschen ein »Manifest für den Frieden« unterschrieben hatten und die erste wirkliche Großdemonstration gegen den Kurs der Unterstützung des Krieges in der Ukraine mit immer neuen Waffenlieferungen vorbereitet wird, war der Vorstand unfähig zu eindeutiger Mobilisierung für diese Demonstration. Der Bundesgeschäftsführer der Partei erklärte die Ablehnung einer klaren Unterstützung dieser Demonstration so: »Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren.« Statt dazu beizutragen, dass die breite gesellschaftliche und politische Linke diese Demonstration dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskräften, die entsprechend den Vorgaben durch die Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht das Zeigen rechtsextremer Symbole unterbinden –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuung in viele kleine, weitgehend wirkungslose Aktionen empfohlen.

Während die Stimmung in der Gesellschaft endlich kippt, immer mehr Menschen erkennen, dass das Morden ein Ende haben muss durch sofortigen Waffenstillstand, Verhandlungen, Kompromisse auf der Basis der Anerkennung der gegenteiligen Interessen, die zu diesem furchtbaren Krieg im Zentrum Osteuropas geführt haben – exakt in diesem Augenblick verlagert der Linke-Vorstand den Schwerpunkt auf ein Nebenfeld: Wie verhindert man, dass auch nur ein einziger Rechtsextremer an diesem Tag in die Nähe des Brandenburger Tors kommt. Das ist schlicht unmöglich. Man arbeitet so denen in die Hände, die die Bewegung gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs zerstören wollen. Bisher wurde jede mahnende Stimme, Verhandlungen ins Zentrum zu rücken, als »Putin-Versteher« gebrandmarkt; jetzt rückt man sie in die Nähe zur extremen Rechten und die Führung der Linken macht dabei mit.

Michael Brie
Der Philosoph Michael Brie ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Partei Die Linke selbst war nicht in der Lage, zu Demonstrationen in einem »heißen Herbst« wirkungsvoll zu mobilisieren. Es blieb bei wenigen Ansätzen. Ihre Kundgebungen mit Bezug auf die Politik der Bundesregierung in der Kriegsfrage blieben marginal. Von den Initiatorinnen einer wirklichen Großdemonstration dagegen werden immer neue Abgrenzungen nach rechts gefordert, dabei hatte Sahra Wagenknecht von Anfang an erklärt, dass es die Rechte ist, die durch eigene Mobilisierung die Friedensdemonstration diffamieren will: »Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterzeichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen – und von wem eben auch nicht.« Mit dem Beschluss vom vergangenen Wochenende lässt sich der Linke-Vorstand die Tagesordnung von den Regierungsparteien und der Rechten diktieren, statt entschlossen dafür zu kämpfen, dass eine breite demokratische Friedensbewegung entsteht, in der die Linkspartei gebraucht wird. 

Große gesellschaftliche Bewegungen sind, siehe auch die historischen Kämpfe gegen den Nato-Doppelbeschluss oder gegen den Irak-Krieg, nicht in sozialistischer Reinform zu haben. Sie sind groß, weil sie zugleich heterogen und in einer einzigen Frage geeint sind. Dadurch verändern sie die Politik – durch Breite, klare Richtung und Punktgenauigkeit. Dies alles hat das »Manifest für den Frieden«. Gegen Unterwanderung aus dem rechtsextremen Lager helfen vor allem eigene Stärke und Präsenz sowie Auseinandersetzung vor Ort. Der Linke-Vorstand will vor allem den eigenen, schrumpfenden Laden zusammenhalten und treibt ihn so in die Bedeutungslosigkeit. 

Ein Jahr lang hat Die Linke ihre Funktion als Partei gesellschaftswirksamer Friedenspolitik nicht überzeugend erfüllt. Immer wurde aus der Defensive argumentiert. Nur zögerlich wurde der Ton gegenüber der Regierungspolitik kritischer. Im Augenblick aber, wo die Bürgerinnen und Bürger Die Linke fragen: »Wie haltet Ihr es mit uns, wenn wir endlich den Protest gegen den Kurs der Bundesregierung auf die Straße tragen?«, schreckt die Führung der Linken zurück und demobilisiert. 

Der jüngste Vorstandsbeschluss ist der bisher letzte Punkt des Versagens dieser Partei als politische Kraft. Es wird Zeit, dass Die Linke offen darüber berät, ob sie in ihrer Mehrheit diesen Kurs noch zu tragen bereit ist. Es wird Zeit für einen Sonderparteitag. Zwei Mal, 1989 wie 2003, hat dies einen Neubeginn ermöglicht. Es bedarf nur 25 Prozent der Delegierten des im Juni 2022 zusammengetretenen Parteitags, um die Einberufung eines solchen Parteitages zu erzwingen. Es reichen auch Landes- und Kreisverbände, die zusammen ein Viertel der Mitglieder, also rund 15 000, vertreten. Der Kampf um die Partei Die Linke gehört auf die offene Bühne und es muss entschieden werden, ob es beim Weiter-so auf dem Weg ins Abseits bleibt oder die Partei sich ihrer historischen Verantwortung stellt. Es gibt Tage der Entscheidung. Werden sie verpasst, ist jede Chance auf einen Neuanfang vertan.

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