Die Gegenrechnung aufmachen

Anny Hartmann bekommt den Deutschen Kleinkunstpreis

Bundestag? »Ich sehe tote Menschen«: Anny Hartmann
Bundestag? »Ich sehe tote Menschen«: Anny Hartmann

Mit dem Kabarett ist es so wie mit der SPD: Genervt, gelangweilt, gequält hat man es schon vor Jahrzehnten für überflüssig erklärt. Doch die SPD ist der politischen Schwerkraft ausgeliefert, sie kann nicht verschwinden. Im Unterschied zu ihren flotten Koalitionspartnern in der Ampelregierung hat sie mehr Ballast aus sozialem Gewissen und sozialer Gerechtigkeit zu verdrängen, ist weniger theatralisch unterwegs. Wenn sie beispielsweise langsamer in den Krieg ziehen will. Auch wenn sie nicht in der Lage ist, den Krieg an sich in Frage zu stellen.

So lang die SPD existiert, lebt Kabarett. Anny Hartmann ist Jahrgang 1970, kommt aus Köln, hat Volkswirtschaft studiert und in einer Sparkasse gearbeitet. Das klingt doch sehr nach SPD, oder? Aber wie fast jedes vernunftbegabte Wesen denkt sich auch Hartmann links weg von dieser Partei. Hartmann stört, dass immer eine »Gegenrechnung« verlangt wird, wenn man den Kapitalismus dämpfen will. Angeblich ist jedwede Verbesserung für die Allgemeinheit unbezahlbar. Und dann sagt sie, man könnte ja auch mal die Löhne von den Abgaben entlasten, Steueroasen schließen und Datenströme besteuern. Schon mal drüber nachgedacht? »Zu intelligent für Sex?« hieß 2007 ihr erstes Soloprogramm.

Die Ampelkoalition ist zu sozialdemokratisch für die FDP, theoretisch. Praktisch sieht es aber so aus, wie Hartmann betont: »Bei der FDP wissen sie nicht, wie man ›Geringverdiener‹ schreibt. Ich glaube, die haben eine Autokorrektur im Handy: ›selber schuld‹ steht da, wenn man ›Geringverdiener‹ schreibt.« Der Bundestag wirkt auf Hartmann ungefähr so, wie es das Kind in dem Film »Sixth Sense« formuliert: »Ich sehe tote Menschen«. Ein Programm von ihr hieß »Ist das Politik, oder kann das weg?« Und hier ein wichtiger Satz, den ihre Kollegin Christine Prayon zu ihr 2017 auf der Bühne sagte, als sie sich über Kabarett, Sex Sells und Doppeldeutigkeiten unterhielten: »Aufklärung ist gut – wegen Aufklärung. Darum gehts.« Deshalb bekommt sie nun den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett.

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