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  • Berlin
  • Mehrwegangebotspflicht

Keine Kontrolle von mehr Mehrweggeschirr

Fast kein Berliner Bezirk weiß, wer für die seit Jahresbeginn geltende Angebotspflicht zuständig ist

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

In immer mehr Cafés sieht man die oft türkisfarbenen Plastikbecher an der Kaffeemaschine stehen. In manchen Lokalen sucht man vergleichbares Mehrweggeschirr jedoch vergeblich – obwohl Gastronomiebetriebe, die Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, seit dem 1. Januar dazu verpflichtet sind, ihren Kund*innen alternativ zum Einweggeschirr auch Mehrwegverpackungen anzubieten. Diese dürfen nichts kosten, aber es kann Pfand dafür genommen werden. Von der Pflicht ausgenommen sind kleinere Geschäfte wie Imbisse oder Spätis, die höchstens fünf Beschäftigte sowie eine Ladenfläche von maximal 80 Quadratmetern haben und nicht zu einer größeren Kette gehören.

Das Problem: Die Einhaltung des neuen Verpackungsgesetzes wird in den meisten Bezirken überhaupt nicht kontrolliert, wie aus einer Antwort der Senatsumweltverwaltung auf eine Anfrage von Felix Reifschneider hervorgeht, der bislang für die FDP im Abgeordnetenhaus saß. »Es ist dramatisch und auch skurril, dass in den Bezirksämtern auf die lang geplante Mehrwegangebotspflicht überhaupt nicht adäquat reagiert wurde«, sagt Reifschneider zu »nd«.

Der Bundestag hatte diese Pflicht im Mai 2021 beschlossen, seitdem hätte man sich vorbereiten können. Stattdessen teilen sieben Bezirke auf Reifschneiders Anfrage hin mit, dass die Zuständigkeit noch ungeklärt ist. Lediglich in Reinickendorf gebe es Kontrollen und eine Ahndung von Verstößen durch das Ordnungsamt. In Tempelhof-Schöneberg ist das Umwelt- und Naturschutzamt zuständig, in Charlottenburg-Wilmersdorf sind es beide Ämter. Letztere Möglichkeit erachtet das Bezirksamt Mitte »für am zielführendsten«. Das Bezirksamt Pankow schlägt eine berlinweit zuständige »neu zu schaffende Marktüberwachungsbehörde« vor.

Bußgelder sind laut Senatsumweltverwaltung bislang noch gar keine verhängt, in Reinickendorf seien jedoch 20 mündliche Verwarnungen ausgesprochen worden, da die verpflichtenden Hinweise auf das Mehrweggeschirr nicht sichtbar waren. Wie viele Restaurants und Cafés aufgrund ihrer Größe und Anzahl der Beschäftigten überhaupt von der Pflicht betroffen sind, darüber haben allerdings weder die Bezirke noch der Senat Kenntnisse. Auch Daten dazu, welche Mehrwegsysteme genutzt werden, wie viele Kund*innen das Angebot annehmen und wie viel Müll durch Einwegverpackungen in Berlin bislang produziert wird oder zukünftig eingespart werden könnte, existieren nicht, wie Umweltverwaltungssprecher Jan Thomsen auf nd-Anfrage mitteilt.

Zumindest in größeren Ketten wurde die Einführung der Mehrwegangebotspflicht von der Deutschen Umwelthilfe unter anderem in Berlin stichprobenartig überprüft. Das Ergebnis sei katastrophal, sagte Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz Anfang Februar. Von 16 großen Ketten hätten zehn im Januar noch kein Mehrweggeschirr eingeführt. Die Umwelthilfe fordert daher von den Bundesländern eine Überprüfung und Sanktionierung der festgestellten Verstöße.

Allerdings sind in Berlin »die Bezirksämter mit den bestehenden Aufgaben schon überlastet«, sagt Felix Reifschneider. Um die Einhaltung des Verpackungsgesetzes zu kontrollieren, bräuchten sie entsprechendes Personal, das jedoch nicht eingestellt wurde. Verständnis hat er für die Gastronom*innen, die nach drei Corona-Jahren und Inflation noch kein Mehrwegsystem eingeführt haben, da ein solches laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga mit hohem Aufwand und Kosten verbunden ist. Kontrollen sollten daher nicht von Beginn an mit Sanktionen verbunden sein, sondern vor allem mit Beratungen. Die Bezirksämter sollten »als Partner auftreten«. Die Untersuchungen könnten zum Beispiel in Verbindung mit den ohnehin stattfindenden Hygieneprüfungen erfolgen.

Letztendlich dürften sich aber »weder Unternehmen noch Bezirke aus der Verantwortung stehlen«, betont der FDP-Politiker. Es gehe schließlich um ein Gesetz, das auf einer EU-Richtlinie beruht. »Wir wollen Müllberge vermeiden, Grünflächen nicht durch Kaffeebecher verschmutzen und zu einem nachhaltigen Konsumverhalten kommen«, erklärt er. Das müsse im Interesse sowohl der Verwaltung als auch der gesamten Berliner Gesellschaft sein.

Aus umweltpolitischer Sicht ist bei den Mehrwegsystemen außerdem wichtig, dass Kund*innen das Geschirr »möglichst zeitnah zurückbringen und nicht zu Hause ansammeln. Sie fehlen sonst nämlich und es muss nachproduziert werden«, sagt Saskia Erdmann, Nachhaltigkeitsexpertin bei der Verbraucherzentrale Berlin. Schätzungen besagen, dass Mehrwegbecher aus Hartplastik erst ab der zehnten Nutzung umweltfreundlicher sind als Einweggeschirr. mit dpa

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