• Kultur
  • Sammelband »Politik von Medienbildern«

Der Unterschied liegt in der Reflexion

Ein Kunstband beschäftigt sich mit der politischen Sprengkraft von Bildern und deren medialer Vermittlung

  • Julian Volz
  • Lesedauer: 4 Min.
Jonas Höschl: »09. September 2015« (2021), Siebdruck in Glas. Ausstellungsansicht »TW: Europe«, Eigen + ART Lab, 2022, Berlin.
Jonas Höschl: »09. September 2015« (2021), Siebdruck in Glas. Ausstellungsansicht »TW: Europe«, Eigen + ART Lab, 2022, Berlin.

Es gibt wohl wenige Fragen, die linke Künstler*innen und Kunsttheoretiker*innen mehr umtreiben als die, in welchen Formen sich politische Kunst äußern kann und sollte. Wie erschafft man dialektische Bilder, und wie wäre eine emanzipatorische Bildpolitik beschaffen? Für den jungen Künstler Jonas Höschl stellten sich solche Fragen ganz konkret, als er während des »Sommers der Migration« von 2015 als Teil einer Karawane, die aus vielen antirassistisch eingestellten Aktivist*innen bestand, an der serbisch-ungarischen Grenze Geflüchtete unterstützte und gleichzeitig als Künstler mit seiner Fotokamera unterwegs war. Naheliegend wäre es gewesen, die dabei entstandenen Bilder, die das Elend der Geflüchteten und die Gewalt an den EU-Außengrenzen dokumentieren, großformatig auszudrucken und als eine leicht zu lesende Anklage in den Ausstellungsraum zu hängen. Dass eine rein fotografische Dokumentation des Elends aber vor allem zu dessen Ästhetisierung beiträgt, das wusste bereits Walter Benjamin. Zudem zirkulierten 2015 in beinahe allen Medien Bilder, welche die unmenschlichen Zustände an den EU-Außengrenzen dokumentierten, ohne dass dies etwas am EU-Grenzregime geändert hätte. Eine direkte politische Wirkung solcher dokumentarischen Bilder ist also nicht anzunehmen. Schlimmer noch: Sie werden auch für rassistische Kampagnen eingesetzt, um ein angebliches Überhandnehmen der Migration in die EU zu »bezeugen«.

In seiner eigenen künstlerischen Arbeit stützt sich Jonas Höschl dann auch nicht auf einen reinen journalistischen Dokumentarismus. Stattdessen schafft er komplexe Installationen, die nach der medialen Vermittlung solcher Bilder fragen. Ausgehend von dieser Praxis hat er im letzten Jahr die Publikation »Politik von Medienbildern« herausgegeben. Für den Band lud Höschl Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Popjournalist*innen und Theoretiker*innen aus seinem intellektuellen Universum ein, um mit ihnen gemeinsam über das Verhältnis von Kunst, Medien und Politik nachzudenken. Eröffnet wird das Buch mit einer Kurzgeschichte von Anna Hofmann. Sie handelt von einer Protagonist*in, die eines Tages aufwacht und sich in einer Welt wiederfindet, die sich auf einmal schief in Richtung der Senkrechten gedreht hat und in der sie sich nun neu zurechtfinden muss. Damit ist der Ton des Bandes gesetzt. Es ist eine von einem krisenhaften Katastrophenkapitalismus vorangetriebene Welt, auf welche die Publikation künstlerische und politische Antworten sucht.

Klug diskutiert anschließend die Bremer Kunsttheoretikerin Mira Anneli Naß in einem Essay zwei Installationen Höschls, die direkt aus seiner fotografischen Arbeit in Zusammenhang mit den antirassistischen Karawanen hervorgegangen sind. Naß konstatiert einen Trend zur investigativen Ästhetik in der Gegenwartskunst. Für diesen seien »formalästhetische, inhaltliche, personelle Überschneidungen zwischen Kunst, Aktivismus, Journalismus und Recht symptomatisch.« Dabei stelle sich die Frage, weshalb man dann überhaupt noch Kunst brauche und nicht gleich Aktivismus betreibe. In den Installationen Höschls macht Naß die Unterscheidung der Kunst vom Aktivismus vor allem durch deren selbst- und medienreflexiven Charakter aus. So sind in einer Installation etwa verschiedene, den Medien entnommene Bilder einer ungarischen Kamerafrau zu sehen, die an der ungarischen Grenze nach Geflüchteten tritt. Höschl stand in diesem Moment mit seiner Kamera neben ihr. Auf den meisten der Medienfotos ist auch er zu sehen. Damit stellt sich die Frage, ob er nicht seine Rolle als Fotokünstler hätte ablegen und die des Aktivisten annehmen müssen. Fragen wie diese werden in seiner Arbeit gestellt, aber nicht beantwortet. Naß sieht gerade in dieser Geste eine zu verteidigende immanente Bedeutungsoffenheit der Kunst.

Mit der Künstlergruppe IRWIN, die wie die Band Laibach der Strömung der »Neuen Slowenischen Kunst« entstammt, diskutiert Höschl, inwiefern die Strategie der Überidentifizierung ein kritisches Potenzial haben kann. In einem Gespräch mit der Künstlerin Cihan Çakmak geht es hingegen um das Selbstportrait als kritische Praxis. In einem weiteren Interview erzählt die Schriftstellerin Ronya Othmann, dass sie für ihren Roman »Die Sommer« viel mit Bildern gearbeitet habe. Sie habe sie in ihren Text montiert. Meist waren dies propagandistische Schreckensbilder der Terrorgruppe »Daesh«, welche anhand raffinierter Medienpraxen verbreitet wurden. Othmann spricht sich gegen ein Verbot solcher Bilder aus – viel wichtiger sei es, sie lesen zu lernen. Man könne erst immun gegen sie werden, wenn man wisse, mit welchen Codes sie funktionierten.

Die Kunsthistorikerin Elif Akyüz entschlüsselt in ihrem Beitrag anschließend ganz konkret, wie sich in Recep Tayyip Erdoğans Propagandaplakaten Ästhetiken der Rebellionen des »arabischen Frühlings« wiederfinden. Während 2011 die in den sozialen Medien zirkulierenden, schnell aufgenommenen Fotos mit ihrer Unschärfe, ihre Momenthaftigkeit und einem gewissen Pathos die Mobilisierung gegen diktatorische Regime befeuerten, würden solche Ästhetiken nun in den Dienst einer nationalistischen Mobilisierung gestellt.

Mit seiner Vielfalt an Themen und Formen, die durch das übergreifende Thema einer kritischen Bild- und Medienpraxis zusammengehalten wird, leistet der Band einen wichtigen Beitrag zu dem, was Othmann eine »Alphabetisierung beim Lesen von Bildern« nennt.

Jonas Höschl (Hg.): Politik von Medienbildern. Hatje Cantz, 320 Seiten, br., 28 €.

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