Eine Story mit vielen Fragezeichen

Pro-ukrainisches Kommando soll die Nord-Stream-Pipelines gesprengt haben

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn es um die inzwischen gesprengten Nord-Stream-Pipelines geht, berichtet die »Tagesschau« gewöhnlich über Hintergründiges aus dem Schweriner Untersuchungsausschuss, der sich mit Unregelmäßigkeiten in der eigens für das russisch-deutsche Gasprojekt eingerichteten Klima-Stiftung befasst. Am Dienstagabend jedoch ging es in der Spitzenmeldung um die Terroranschläge, mit denen in der Nacht zum 26. September 2022 drei der insgesamt vier Pipeline-Stränge zerstört worden waren. Die Tat verhindert, dass in absehbarer Zeit Erdgas aus Russland quer durch die Ostsee nach Westeuropa gepumpt werden kann.

Die Ermittlungen, in die die schwedische Sicherheitspolizei, dänische Geheimdienstler und der deutsche Generalbundesanwalt samt Bundeskriminalamt involviert sind, kamen angeblich nicht voran. Nun aber berichteten ARD, SWR und »Die Zeit«, dass die Spur der Attentäter in die Ukraine führe. Ermittlern sei es gelungen, eine Segeljacht zu identifizieren, die bei den Anschlägen angeblich benutzt wurde. Sie sei von einer Firma in Polen angemietet worden, die offenbar zwei Ukrainern gehört. An Bord waren angeblich der Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und eine Ärztin. Sie hätten Sprengstoff zu den Tatorten transportiert und an den Rohren angebracht. Die Nationalität der Täter ist offenbar unklar, sie sollen professionell gefälschte Reisepässe genutzt haben.

»Sponsor« der Aktion soll bekannt sein

Das Kommando, so hieß es weiter, sei am 6. September 2022 von Rostock aus gestartet. Am folgenden Tag sei das Boot in Wieck (Darß) gesichtet und später an der dänischen Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm lokalisiert worden. Die Rückgabe der Jacht an den Eigentümer sei in ungereinigtem Zustand erfolgt, weshalb von der Bundesanwaltschaft beauftragte Ermittler Spuren von Sprengstoff nachweisen konnten. Soweit die Tagesschau.

Die britische »Times« berichtet ergänzend über ein Briefing durch skandinavische Dienste, das nur eine Woche nach der Sabotage in Brüssel stattgefunden haben soll. Bereits damals sei klar gewesen, dass »nicht Amerikaner, Russen oder Polen«, sondern ein privates ukrainisches Unternehmen hinter den Anschlägen stecke. Laut »Times« ist deren »Sponsor« bekannt.

Nahezu zeitgleich schrieb die »New York Times« (NYT) über den Stand der Ermittlungen. Die US-Zeitung berichtete, dass es US-Beamte ablehnten, die Art der Geheimdienstinformationen, die Art und Weise, wie sie erlangt wurden oder »irgendwelche Details über die Stärke der darin enthaltenen Beweise« offenzulegen. Daher wertet die NYT das Geschehen selbst. Und zwar politisch: »Jede Andeutung einer ukrainischen Beteiligung, ob direkt oder indirekt, könnte die heiklen Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland stören und die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit schwächen, die im Namen der Solidarität hohe Energiepreise in Kauf genommen hat.« Die britische »Times« ergänzte, dass die Nato vorhandene Informationen zurückgehalten habe, weil man die deutsche Lieferung lebenswichtiger militärischer Güter, einschließlich Leopard-2-Panzern und IRIS-T-Luftverteidigungssystemen, nicht verzögern wollte.

Wirkliche Beweise fehlen immer noch

Laut einem aktuellen Bericht der »Washington Post« gibt es noch immer keine forensischen Beweise von der Explosionsstelle, die die Sabotage mit einem Land in Verbindung bringen. US-Geheimdienste hätten keine Kommunikation von russischen oder ukrainischen Beamten abgefangen, die für den Angriff Verantwortung übernommen oder versucht hätten, die Beteiligung ihrer Regierungen zu vertuschen. Ein hochrangiger westlicher Sicherheitsbeamter informierte die »Post« darüber, dass proukrainische Einzelpersonen oder Organisationen die Möglichkeit diskutiert hätten, einen Angriff auf die Pipelines durchzuführen. Diese »Signale« seien aber erst nach dem Angriff entdeckt worden. Man halte es aber für unwahrscheinlich, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder Mitglieder seines inneren Kreises eine solche Operation genehmigt hätten. Wichtig war der anonymen Quelle zu betonen, es seien keine US-oder britischen Staatsangehörigen beteiligt gewesen.

Niemand will Beteiligung eingestehen

Der renommierte US-Journalist Seymour Hersh hatte vor Wochen bereits einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, laut dem die Anschläge von der US-Navy und der norwegischen Marine geplant, ausgeführt und von der US-Regierung orchestriert wurden. Diese ignorierte die Behauptung, was zu einer geradezu abgestimmt anmutenden Kritik führte. Inhalt: Hersh lege weder Belege vor, noch nenne er den Namen seines Informanten. Das kann man ebenso über die von ARD, SWR und der »Zeit« erzählten Story sagen. Auch sie enthält zahlreiche Ungereimtheiten, knüpft unbelegte Zusammenhänge, lässt technische Expertise außen vor – bedarf also einer offiziellen Nachbesserung.

Vom Generalbundesanwalt ist naturgemäß keine Stellungnahme zu erwarten. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will keine voreiligen Schlüsse ziehen, solange die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen nicht abgeschlossen haben. Ähnlich äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Er wies darauf hin, dass »internationale Sicherheitskreise« eine Operation unter »falscher Flagge« nicht ausschließen, dass also »Spuren bewusst gelegt worden sind, die auf die Ukraine als Verursacher hindeuten«. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow versicherte zum Auftakt eines informellen Treffens der EU-Verteidigungsminister in Stockholm, sein Land habe nichts mit Explosionen zu tun. Moskau forderte eine internationale Untersuchung mit russischer Beteiligung. Das Weiße Haus äußerte sich nicht. Begründung: Es handle sich schließlich um eine europäische Untersuchung.

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