Humboldt Forum: Gentrifizierung gehört ins Museum

Eine Ausstellung im Humboldt Forum widmet sich dem Widerstand gegen Verdrängung

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Wohin entwickelt sich Berlin? Das ist die letzte Frage, die die Künstler Barbara Bernardi, Linda Paganelli und Vincent Voignier ihren Interviewpartnern stellen. Fast unisono antworten die von ihnen befragten stadtpolitisch Aktiven, Berlin solle nicht zu dem werden, was Metropolen wie London und Paris heute schon sind: unbezahlbar und entmischt in den innerstädtischen Quartieren. Die Videocollage aus Interviews, die auf der thematischen Freifläche »Wir bleiben! Gentrifizierung und Widerstand in Berlin« zu sehen ist, bildet seit März nun den Abschluss der »Berlin Global«-Ausstellung im Humboldt Forum.

»Das passt ganz wunderbar in den Rahmen von ›Berlin Global‹«, freute sich Brinda Sommer vom Berliner Stadtmuseum bei der Eröffnung. »Berlin Global« ist eine stadtgeschichtliche Ausstellung, die sich nicht chronologisch, sondern thematisch mehreren Schwerpunkten von Krieg bis Subkultur im Zusammenhang mit Berlin widmet.

Die Meinungen über die Ausstellung gehen auseinander. Denn es hat durchaus etwas Willkürliches, wenn es nur wenige Schritte von Schautafeln über NS-Zwangsarbeit bis hin zu denen über die Modetrends vergangener Jahrzehnte braucht. Auch der hohe Grad an Interaktivität, der teils wie unnötige Spielerei wirkt, macht »Berlin Global« vor allem zu einer Ausstellung für eine jüngere Zielgruppe und Besucher von außerhalb.

An der letzten Station erfahren sie nun von den unterschiedlichen Kämpfen in Berlin gegen Aufwertung und Verdrängung. Die Freifläche ist klein, es gibt eine Collage aus Fotografien unterschiedlicher Hausfassaden und eben Interviews, die mit unterschiedlichen Akteuren geführt worden sind, darunter beispielsweise ein Hausprojekt-Bewohner, ein Genossenschaftsvorstand oder Initiativen, die gegen Leerstand oder Eigenbedarfskündigungen kämpfen.

Es geht in den Interviews unter anderem um düstere Ausblicke auf die »Schlafstädte«, die mit den Neubauquartieren in Berlin entstehen würden und um die Herausforderung des klimagerechten Umbaus des Wohnungsbestandes. Außerdem werden verlorene Kämpfe gegen Eigenbedarfskündigungen sowie gewonnene, wie beispielsweise den gegen einen Google-Campus in Kreuzberg, dokumentiert.

Dabei war es gar nicht so einfach, Interviewpartner zu finden, berichtet die Künstlerin Linda Paganelli bei der Eröffnung. »Viele Initiativen haben sich verwehrt, uns ein Interview zu geben, wegen Kolonialismus und auch wegen des Palastes der Republik«, erklärte sie. Denn auch wenn die Freifläche stadtpolitischen Widerstand dokumentiert, so hat das Berliner Schloss selbst stadtpolitischen Widerstand auf sich gezogen. Einerseits, weil das ehemalige DDR-Volkskammergebäude, der Palast der Republik für den Wiederaufbau des einstigen preußischen Herrschersitzes wiederaufgebaut wurde. Anderseits, weil sich in der Sammlung des Humboldt Forums auch geraubte Kunstwerke wie Benin-Bronzen befinden.

Erst am Mittwoch bei einer Stolpersteinverlegung für entrechtete Schwarze Menschen im Nationalsozialsozialismus kritisierte Anab Awale, SPD-Bezirksverordnete in Mitte und Vorständin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, wiederholt das Symbol, das vom Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ausgeht. So war es schließlich der deutsche Kaiser Wilhelm der II., der eine expansive Kolonialpolitik forcierte.

Nun steht das Humboldt Forum und dem Haus bleibt nichts anderes übrig, als Kritik und stadtpolitische Initiativen selbst in das Haus zu holen, wenn es den Konflikt – soweit es denn geht – befrieden will. Ausdruck dessen sind die Freiflächen. Die zum Thema Gentrifizierung ist das mittlerweile vierte Freiflächen-Projekt. »Es sind Flächen, wo wir uns zurückziehen, hier spricht nicht das Museum«, erklärt Brinda Sommer vom Stadtmuseum. Stattdessen sollen auf den Freiflächen »aktivistische und unterrepräsentierte Perspektiven« sichtbar gemacht werden.

Die erste Fläche gestaltete die Kunstwerkstatt Kreuzberg der Lebenshilfe Berlin. Immer noch zu sehen ist die Freifläche, die das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma verantwortet, sowie jenes Projekt, das von türkischen Berlinern gestaltet wurde und sich unter dem Titel »30kg« mit Fragen von Identität und Migration auseinandersetzt.

Nun also Gentrifizierung: Bleibt nur zu hoffen, dass sie irgendwann nur noch ein Thema für das Museum ist.

»Wir bleiben! Gentrifizierung und Widerstand in Berlin«, bis 28. Oktober 2024 Teil von Berlin Global, Humboldt Forum.

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