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Mit Passagierdaten gegen die internationale Antifa?

Bundespolizei hindert Vorsitzenden der VVN-BdA am Flughafen an der Ausreise

Eine Fahne der VVN-BdA beim Gegenprotest in Sofia. Nicht alle Aktivisten aus Deutschland haben es dorthin geschafft.
Eine Fahne der VVN-BdA beim Gegenprotest in Sofia. Nicht alle Aktivisten aus Deutschland haben es dorthin geschafft.

Bereits am 24. Februar hatte die Bundespolizei den Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Florian Gutsche, am Berliner Flughafen an der Ausreise gehindert. Das machte die Organisation Anfang dieser Woche bekannt. Gutsche war auf dem Weg nach Bulgarien, wo er als Beobachter an internationalen Protesten gegen den faschistischen »Lukov-Marsch« in Sofia teilnehmen wollte.

Der 34-Jährige wurde mit einer sechsseitigen »Ausreiseuntersagung«, die für jegliche Auslandsreise an diesem Wochenende galt, wieder entlassen. Möglich ist ein solches Reiseverbot im Rahmen des Passgesetzes; für den Fall einer Zuwiderhandlung droht Gewahrsam.

Zuvor hatte die Polizei den Bundesvorsitzenden zwei Stunden lang festgehalten und befragt, außerdem sein Gepäck durchsucht. Dabei wurden ein schwarzer Pulli, eine schwarze Jacke, eine Fahne und eine Broschüre der VVN-BdA gefunden. Die Bundespolizei sah darin »Utensilien, die klar dem linken Phänomenbereich zuzuordnen sind«. Gutsche wurde daraufhin unterstellt, in Sofia an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilnehmen zu wollen.

In linken Zusammenhängen sind »Ausreiseuntersagungen« spätestens seit dem G8-Gipfel 2001 in Genua bekannt, der Berliner SPD-Innensenator Ehrhart Körting kommentierte dies mit dem Ausspruch: »Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise.« Ihren Ursprung haben die Verbote jedoch im Fußballbereich. Bei der Weltmeisterschaft 1998 im französischen Lens wurde der Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans aufs Schwerste verletzt.

Die Attacke in Frankreich führte damals zu neuen Formen der Zusammenarbeit europäischer Polizeien, darunter zum verstärkten Austausch von Personendaten zu potenziellen »Störern«, um entweder Aus- oder auch Einreiseverbote verhängen zu können. Ebenfalls seit dem G8-Gipfel fordern Politiker regelmäßig die Einführung einer europäischen »Störerdatei«; bislang gibt es diese Datensammlungen jedoch – wie in Deutschland – nur auf nationaler Ebene.

Die Bundespolizei hatte ihre »Ausreiseuntersagungen« gegenüber Fußballfans stets damit begründet, diese könnten »das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland« schädigen. Dieser Textbaustein wurde zunächst für linke und später auch rechte politische Aktivisten übernommen. Dieselbe Formulierung findet sich auch in der Verfügung, die der Antifa-Aktivist Gutsche von der Bundespolizei erhielt.

Fraglich ist, wie die Bundespolizei am Berliner Flughafen auf Gutsche aufmerksam wurde. Weil Bulgarien noch kein Schengen-Vollmitglied ist, müssen Reisende dorthin durch eine Passkontrolle. Dort wurde Gutsche bereits von einem Beamten in Zivil erwartet, bestätigt er dem »nd«.

Möglich ist, dass die Bundespolizei von der Fluggesellschaft über die bevorstehende Reise informiert wurde. So mutmaßt es der in den USA lebende Reiseblogger Edward Hasbrouck, der seit Jahren auf diese heimliche Fahndungsmaßnahme aufmerksam macht. Grundlage für die Fahndungstechnik ist das Fluggastdatengesetz, mit dem die Bundesregierung eine EU-Verordnung umsetzt. Reisebüros und Airlines müssen bei der Buchung eines Fluges die Daten der Reisenden an eine »Passagierdatenzentralstelle« beim Bundeskriminalamt (BKA) übermitteln, ein zweites Mal muss dies beim Boarding der Maschine erfolgen.

Die persönlichen Daten werden automatisiert mit polizeilichen Datenbanken in Deutschland und auf EU-Ebene abgeglichen. Sind die Personen dort vermerkt, erfolgt eine Treffermeldung. Diese wird zunächst vom BKA auf Richtigkeit überprüft und anschließend »zwecks Umsetzung der Fahndungsmaßnahme« an die Bundespolizei übermittelt. Abhängig von dem Vorwurf erfolgt dann die Festnahme, offene oder heimliche Kontrolle.

Ob Gutsche tatsächlich über seine Passagierdaten ins Visier der Bundespolizei geriet, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dies würde bedeuten, dass er auch in einer bestehenden Datei zu linken »Störern« oder »Gefährdern« verzeichnet wäre. Das könnte der Grund sein, weshalb Gutsche in der »Ausreiseuntersagung« eine »linksextreme Ideologie« attestiert wird. Die Bundespolizei will sich dazu auf Anfrage des »nd« aber nicht äußern.

Trotz der Repressalien bei grenzüberschreitenden Protesten werde die VVN-BdA auch weiterhin »nach allen Kräften befreundete antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gruppen in Osteuropa unterstützen«, schreibt die Organisation in ihrer Pressemitteilung. Gutsche erwägt eine Klage gegen das Ausreiseverbot. In der Vergangenheit waren solche Berufungen oft erfolgreich, denn die bloße Annahme »bestimmter Tatsachen« genügt zur Verhängung eines Ausreiseverbots nicht. Die Bundespolizei muss für ihre Gefahrenprognose Belege für ein erwartetes »gewalttätiges Auftreten im Ausland« liefern, urteilte dazu etwa das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

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